Das Meer in Gold und Grau
Aquarell im Haus meines GroÃvaters fiel mir ein, ich schob es beiseite. Landschaften wie diese gab es überall, ein begnadeter Aquarellist war der GroÃvater nie gewesen, und für MutmaÃungen oder Verschwörungstheorien hatte ich keine
Nerven. Was die Tatsache, dass ich gerade durch den Nieselregen irrte, um mir eine unbekannte Halbschwester meines Vaters anzusehen, nicht eben vernünftiger machte. Schnapsidee, dachte ich, aber wenn ich schon mal hier bin.
Hinter dem Deich wurde das Meer sichtbar. Grau und regenverhangen näherte es sich, die Grenze zwischen Wasser und Himmel verschwamm. Als ich um eine Kurve bog, blies mir der Wind hart ins Gesicht, wehte die Kapuze vom Kopf, machte das Anzünden einer Zigarette unmöglich.
Hinter einer weiteren Biegung entdeckte ich das Haus.
Das Erste, was ich dachte, war: klein. Sehr klein, wenn man ein stattliches Hotel erwartet hatte. Es begann mit einem Stück Reetdach, aus dem im Weitergehen Gauben wuchsen, blaue Fensterläden, weiÃgetünchte Mauern, ein kleiner Parkplatz, Büsche, Wildrosen, nirgends die Aufschrift STRANDHOTEL, auch nicht, als ich direkt davor stand. Aber weit und breit keine Alternative zu diesem Gebäude: Es musste sich um das Palau handeln. Aus einem der Fenster im oberen Stockwerk hing ein Federbett bedenklich weit herunter, eine Männerstimme sang »Ich hab noch Sand in den Schuhen aus Hawai.«
Was sich als Eingangstür anbot, schien mir arg unscheinbar für den Zugang zu etwas, das den Namen Lobby verdiente. Hinter den Butzenscheiben war kein Licht auszumachen, niemand zu sehen.
Drei Klingelknöpfe übereinander, eingedrungene Feuchtigkeit hatte die Beschriftung aufweichen lassen, nur auf dem untersten war etwas zu entziffern: VON KROIX, das war nicht ihr Name. Meine Tante hieà nach ihrem Adoptivvater, Schuhmann, das stand aber nirgends. Sie hatte das Hotel verkauft, auch das konnte sein, man würde mir vielleicht dennoch etwas über die Vorbesitzerin erzählen können.
Ganz in der Nähe bellte ein Hund, die Männerstimme schmetterte jetzt »Mit meiner Balalaika war ich der König auf Jamaika.«
Ich ging weiter um das Gebäude herum, hoffte, dass sich noch ein Flügel dahinter anschloss, ein Anbau mit Suiten oder Ferienwohnungen, auf deren Holzveranden man die Aussicht auf das Meer genieÃen konnte, in verlassenen Liegestühlen die Rückkehr fürsorglicher Tanten erwarten.
Büsche wucherten bis dicht ans Haus, ich hörte Geschirr klappern, jemand brüllte »Tür zu!«, eine Radiostimme verkündete Sturmwetter zwischen Kiel und Fehmarn. Weiter entfernt die Töne einer Klaviermelodie, durchsetzt von anbrandendem Meeresrauschen. An der Seitenwand lehnte ein altes, tomatenrot gestrichenes Fahrrad mit brüchigem Ledersattel, daneben eine Plastikkiste, gefüllt mit verstaubten Kakteen, Stapeln von Blumentöpfen, den Resten eines Ficus, der grob vernachlässigt worden war. Ich drängte mich daran vorbei, vermutete, auf dem Pfad zum Personaleingang zu sein, was mir nicht unpassend vorkam. »Personal« war ich bis vor einigen Tagen auch noch gewesen, jedenfalls war ich als solches von der Steuer abgesetzt worden, soweit man den Aussagen meiner Arbeitgeberin glauben mochte. Ex-Arbeitgeberin. Zugegeben, sie war nicht zu Unrecht wütend gewesen, als sie brüllte: »Mit einer vom Personal! Und ich zahle auch noch die Unfallversicherung!«
Aber fairerweise hätte ihr Zorn eher ihn treffen müssen und, was mich betraf, weniger herablassend ausfallen können. Selbst schuld und saublöd, das Personal, dachte ich, saublöd.
Der fiese Geruch einer Industriespülmaschine war der erste Hinweis, dass es sich tatsächlich um einen Hotelbetrieb handeln könnte, verwehte aber gleich wieder. Zwei Milchglasscheiben
mit verschwommener Durchsicht auf eine Batterie Dosen und Flaschen sprachen dafür, dass ich die AuÃenwand der Küche passierte. Als ich erwartungsvoll um die Hausecke bog, befand sich dahinter kein weiterer Gebäudeteil, kein Seitenflügel, keine Ferienanlage. Hier war Palau zu Ende.
Auf einer grünen Rasenfläche standen zehn bis zwölf Strandkörbe vor weiÃen Plastiktischen, dazu war das gleiche Modell Gartenstuhl gruppiert, wie es von Kopenhagen bis Kairo in jedem zweiten Haushalt zu finden ist. Mittig lagerte ein kniehoher Felsblock, an den ein Blechschild gelehnt war: GESCHLOSSEN.
»Na
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