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Das Missverstaendnis

Das Missverstaendnis

Titel: Das Missverstaendnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Nemirovsky
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nach ihr zwischen Kasino und Strand umhergeirrt war. Und an den Abend, als sie ihn weinend vorgefunden hatte, am Ufer der Bidassoa … Diese Erinnerung war schmerzlich, er wußte nicht, warum … Mit einer wütenden Bewegung warf er seine Zigarette fort; Funken sprühten, als sie auf dem Marmor des Kamins auftraf.
    »Ich gehe aus, Pierrot.«
    Pierrot wedelte mit dem Schwanz.
    Yves zog ihn zum Abschied leicht an den Ohren und verließ die Wohnung.
    Eine Weile lief er die Straße entlang, dann rief er ein Taxi und ließ sich in den Bois fahren. Er wollte am Pavillon Royal haltmachen, um etwas Kaltes zu trinken; doch die Nacht mit dem inzwischen aufgestiegenen milchweißen Nebel war so außergewöhnlich schön, daß er dem Fahrer sagte, er solle weiterfahren bis Longchamp. Dort, im Dunkeln, hatten sich einige Autos versammelt, darunter, unmittelbar neben ihm, ein kleiner offener Wagen, in dem man vage ein Pärchen erkennen konnte, das sich umschlungen hielt. Er betrachtete die Szene einen Moment lang, als plötzlich ein Scheinwerfer aufleuchtete. Denise’ Gesicht tauchte auf, zwei Schritte von ihm entfernt; sie war ein wenig nach hinten gebeugt; ein junger Mann küßte sie, und sie ließ es lächelnd geschehen.
    Dann löste sie sich auf einmal aus der Umarmung. Er sah ihren bloßen Kopf, ihre vom Nachtwind zerzausten Locken und in der überirdischen Weiße des Lichts ihr feingemeißeltes Gesicht, ihren ernsten Mund und den offenen Blick, den er so liebte und der ihn im Dunkeln fixierte, ohne ihn zu erkennen.
    Und dann verschwand alles, wie eine Vision.
    Das Taxi fuhr in Richtung See; völlig benommen hielt er sich, beide Hände um den Türgriff geklammert, gerade noch aufrecht. Plötzlich stieß der Wagen gegen ein Hindernis, er wurde durchgeschüttelt und kam wieder zu Bewußtsein. Er schrie: »Halten Sie an!«, stieg aus, zahlte und ging zu Fuß im Wald weiter, in Richtung Longchamp. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen; er ging einfach auf die Stelle zu, wo er Denise gesehen hatte. Nach ein paar Minuten blieb er stehen und sagte laut: »Ich werde verrückt. Sie ist ja schon lange weg«; doch er ging ziellos weiter und kümmerte sich nicht darum, daß er immer wieder gegen Bäume stieß, die er in der Dunkelheit nicht sehen konnte.
    Es gab nicht den geringsten Zweifel. Er wollte nicht daran zweifeln. Er floh niemals vor dem Unglück und stürzte sich jetzt sofort hinein wie in einen Abgrund, der ihm angst machte und ihn dennoch anzog. Wer war der Mann? Er hatte ihn nicht gesehen – nur einen jungen Kopf mit glatt zurückgekämmtem Haar. Außerdem fiel das kaum ins Gewicht. So betrog sie ihn also, belog ihn, sie, Denise? Er war am Boden zerstört. Erst jetzt begriff er, wie außergewöhnlich und kostbar das blinde Vertrauen gewesen war, das er ihr bis jetzt entgegengebracht hatte. Warum? Sie war auch nur eine Frau und wie alle Frauen verlogen und schwach. Aber genau das war es ja – war sie denn für ihn nur »wie alle Frauen« gewesen? War sie nur eine vorübergehende Affäre, ein Andenken an einen schönen Sommertag, wie es so viele gab? Hatte er sie nicht immer ein wenig wie eine Ehefrau betrachtet? In Hendaye hatte er sie lange geachtet wie ein junges Mädchen. Und seitdem hatte er sie niemals – nicht einmal in seinen geheimsten Gedanken – dadurch beleidigt, daß er auch nur eines ihrer Worte oder irgendeine ihrer Handlungen anzweifelte. Ihr angenehm freimütiger Blick … Aber das, das war ja noch nichts … Vielleicht konnte man daran zweifeln, daß sie ehrlich zu ihm gewesen war, aber doch niemals an ihrer Liebe zu ihm! … An diese Liebe hatte er nie bewußt gedacht. Denkt man an etwas, was man besitzt, etwas, von dem man sicher ist, daß man es für immer besitzen wird? Es war eine tief in ihm verwurzelte Überzeugung gewesen, eine Art oberste Wahrheit, die keines Beweises bedurft hatte. Er wußte, daß ihre Zuneigung ihm niemals abhanden kommen würde, wie er wußte, daß die Erde sich dreht, daß die Sonne scheint und daß es nach jeder Nacht wieder Tag wird. Wie ein krankes Kind, das nach jenen tritt, die es umsorgen, konnte er so grob mit ihr umgehen, wie er wollte – das war sein Recht, denn sie gehörte ihm. Er hatte immer gewußt, daß sie für ihn da wäre, sobald er nach ihr verlangte. Diese Liebe hatte in seinem Leben wie eine helle Lampe gestrahlt, sie war ein zärtliches, sanftes, ein wenig verschleiertes Licht gewesen … Jetzt war es erloschen … Ihr verzeihen? Das war jenseits des

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