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Das Missverstaendnis

Das Missverstaendnis

Titel: Das Missverstaendnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Nemirovsky
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Nachmittag war Yves gegen zwei Uhr, nachdem er sich lange Zeit mit seiner Toilette aufgehalten hatte, in den riesigen Speisesaal hinuntergegangen, in dem fast niemand mehr war, und hatte dort zu Mittag gegessen; trotz der beigefarbenen Vorhänge vor den großen Fenstern drang die Sonne in den Raum, funkelnd, hellgelb, wie ein märchenhafter Lichtschweif. Yves mußte gegen das kindische Bedürfnis ankämpfen, mit den Händen über die goldenen Strahlen zu streichen; sie tanzten auf dem Tischtuch und dem Besteck, sie entzündeten Rubine und blutrotes Gefunkel am Grund seines Glases mit altem Burgunder. Um ihn herum saßen noch vereinzelte spanische Familien, die gerade ihr Essen beendeten und sich mit kehligen Stimmen unterhielten; die Frauen waren schwer und welk, die jungen Leute sahen schneidig aus; fast alle hatten wunderbare Augen, samtweich oder feurig, und als Yves sie betrachtete, dachte er daran, wie nah Spanien war, und begann davon zu träumen, im Oktober einmal dorthin zu fahren, die rosafarbenen Häuser zu sehen, die Innenhöfe mit den sprudelnden Brunnen. Doch dann riß ihn der Gedanke an das Datum, an dem sein Urlaub zu Ende wäre, aus seiner Träumerei, und traurig und vernünftig geworden, richtete er seinen Blick, der sich schon in den Pyrenäen verloren hatte, wieder auf die saftige Birne, die er gerade schälte. Als er sie gegessen hatte, trat er auf die Terrasse hinaus.
    Dort saßen die Leute grüppchenweise um kleine Wei dentische herum, tranken Kaffee und blätterten in Zei tungen aus Paris und Madrid; auf einem Podium stimmten Musiker ohne Hast ihre Instrumente; im Garten spielten unermüdliche Jugendliche bereits Tennis; der Seewind bauschte die Vorhänge aus schwerer Baumwolle, die wie Segel klatschten. Yves näherte sich der Balustrade, um das Meer zu betrachten, denn davon bekam er nie genug.
    Er hörte, wie jemand seinen Namen rief.
    »Wie geht es Ihnen, Harteloup? Sind Sie schon lange hier?«
    Er drehte sich um und sah Jessaint. Neben ihm die junge Frau vom Strand, im Schaukelstuhl; sie war ganz in Weiß, ohne Hut, und ihre schmalen Füße steckten in Sandalen mit Bändern. Ihre kleine Tochter tollte neben ihr auf den warmen Fliesen der Terrasse umher.
    Jessaint fragte:
    »Kennen Sie meine Frau? … Denise, darf ich Ihnen Monsieur Harteloup vorstellen?«
    Yves verbeugte sich; dann sagte er, auf die erste Frage antwortend, die man ihm gestellt hatte:
    »Ich bin erst gestern abend angekommen. Man sieht es wahrscheinlich«, fügte er lächelnd hinzu und zeigte seine blassen Pariser Hände.
    Die junge Frau begann zu lachen:
    »Stimmt! Wir sind hier alle schwarz wie die Neger …«
    Sie betrachtete Yves aufmerksam und fügte hinzu:
    »Nicht wahr … das waren Sie … meine Tochter hat Sie heute morgen am Strand mit Sand beworfen? Ich hätte mich sofort dafür entschuldigen müssen; aber ich habe lieber so getan, als würde ich glauben, Sie schliefen … Ich schämte mich dafür, eine so ungezogene Tochter zu haben«, sagte sie schließlich, während sie die Kleine an sich zog, die ihnen ihr rundes und fröhliches Gesicht zuwandte.
    Yves schlug einen härteren Ton an.
    »Du warst das also, mein Fräulein, du hast einen fried lichen jungen Mann so gequält, obwohl er dir gar nichts getan hat?«
    Das kleine Mädchen lachte laut und versteckte seinen Kopf unter den Knien seiner Mutter.
    »Sie scheint Humor zu haben«, stellte Yves fest.
    »Sie ist unerträglich«, sagte die Mutter mit liebenswürdigem Stolz im Blick.
    Sie zog das Kind unter ihrem Rock hervor, legte den Finger unter das kleine runde Kinn und sagte:
    »Aber es wird schon nicht so schlimm sein, denn wir sind nur deshalb so frech und unartig, weil wir noch so klein sind, nicht wahr, Mademoiselle? Wir sind gerade erst zweieinhalb Jahre alt.«
    »Ich werde ihr natürlich niemals verzeihen«, sagte Yves.
    Er hob das kleine Fräulein mit beiden Händen hoch und warf es in die Luft; es zappelte mit seinen nackten Beinchen und lachte ausgelassen. Als er es wieder auf den Boden setzen wollte, bat das Mädchen: »Noch einmal, noch einmal, bitte, Monsieur«, und Yves, dem es Spaß machte, mit dem kleinen sonnengebräunten Paket zu spielen, setzte das Spiel noch eifriger fort; sie waren beide betrübt, als sie aufhören mußten, weil das Kindermädchen kam, um mit der Kleinen zum Strand zu gehen.
    »Sie lieben Kinder?« fragte Jessaint, nachdem das Mädchen widerstrebend mitgegangen war.
    »Über alles. Vor allem wenn sie so hübsch und so

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