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Das Missverstaendnis

Das Missverstaendnis

Titel: Das Missverstaendnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Nemirovsky
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gewohnt, schwamm lange, geblendet von den Lichtfunken, die in den Wellentälern tanzten; an seinem üblichen Platz ganz in der Nähe von Denise’ Zelt legte er sich auf den Sand. Die junge Frau war nicht da. Die kleine Francette war im Badeanzug, backte Sandkuchen und zerstörte sie gleich wieder, mit heftigen Schaufelhieben und mit einer wilden, destruktiven Energie; das Kindermädchen las.
    Yves drehte sich auf die Seite, von der linken auf die rechte, mit einem tiefen, beunruhigten Seufzen, dem Seufzen eines träumenden Hundes. Er war nervös, aber es gelang ihm nicht, die Ursache seiner Nervosität auszumachen, er atmete mit beengter Brust, nahm die dumpfen, raschen Schläge seines Herzens wahr. ›Ich bin zu lange im Wasser geblieben‹, dachte er. Er stützte sich auf den Ellbogen und winkte die kleine France zu sich. Sie erkannte ihn, begann zu lachen, stand auf, machte zwei Schritte auf ihn zu, kehrte ihm dann den Rücken und lief mit dem unerklärlichen Sinn der Kinder für Scherz und Spott vor ihm davon. Er legte sich wieder hin; biß sich voller Ärger immer wieder auf die Lippen. Und doch suchte er weiterhin hartnäckig nach körperlichen Ursachen für sein Unbehagen: Es war heiß, die Sonne lastete wie ein bleierner Mantel auf seinen Schultern; der Sand, der beständig von einem glühendheißen Wind aufgewirbelt wurde, streifte seine Beine und kitzelte seine nackte Haut, daß es fast nicht zu ertragen war. Er fragte sich nicht einfach, wo Madame Jessaint sei, sondern gab vage, heuchlerische Antworten auf das, was unformuliert blieb: ›Sie wird schon kommen … Sie hat sich verspätet … Vielleicht fühlt sie sich nicht wohl … Sie geht nicht baden, aber sie wird noch kommen, um zuzuschauen, wie die Kleine schwimmt … Es ist ja noch nicht spät …‹ Und er wälzte sich auf dem heißen Sand ruhelos hin und her wie ein Kranker auf seinem Bett; er war eigentlich nicht unglücklich, es hatte ihn nur genau das Gefühl überkommen, das die Engländer uncomfortable nennen, ohne daß er sagen konnte, warum. Unterdessen stieg die Sonne über ihm immer höher; der Strand leerte sich; lediglich einige halbnackte Jungen spielten am Rand der Wellen Ball. Schließlich gingen auch sie. Der Bademeister kam mit einigen Jungen vorbei, wie immer zur Mittagsstunde zogen sie das Rettungsboot an den Strand; sie spannten ihre braunen, nassen, muskulösen Arme an, die aussahen wie dicke Kabel; dann entfernten sie sich langsam. Der flache, verwaiste Strand erstreckte sich unermeßlich weit und blendendweiß unter der Mittagssonne. Yves blieb liegen, reglos, mit schwerem Kopf und eingeschnürter Kehle. Plötzlich sprang er auf. Was für ein Dummkopf er doch war! Sie war nicht an den Strand gekommen, weil ihr irgend etwas fehlte, aber sie würde bestimmt zu Mittag essen! Sicher war sie nicht so krank, daß sie an diesem herrlichen Tag im Bett bleiben würde, sagte er sich. Nur würde er sich schrecklich verspäten; jetzt hatte er keine Zeit mehr, sich umzuziehen und sich zu rasieren. Hastig warf er sich das Handtuch über die Schulter und machte sich im Laufschritt auf den Weg zum Hotel.
    Zwanzig Minuten später war er im Foyer, doch Denise war nicht da; ihr Gedeck im Speisesaal war aufgelegt, schien aber unberührt zu sein. Yves fand sein Lammkotelett zäh, die Erbsen verkocht, den Kaffee ungenießbar, und die Bedienungen waren unaufmerksam; übellaunig kommandierte er den Oberkellner herum und bestellte den Weinkellner an seinen Tisch, um ihm zu sagen, daß der Rotwein in der miesesten Spelunke in Paris besser sei als sein Corton von 1898, was den würdevollen Mann so verletzte, daß ihm fast die Tränen kamen.
    Ohne den Pfirsich anzurühren, den er sich auf den Teller gelegt hatte, warf Yves seine Serviette hin und begab sich auf die Terrasse. In Denise’ Schaukelstuhl saß Mademoiselle Francette und schaukelte mit ernster Miene hin und her. Sie trug ein kurzes Baumwollkleidchen, das so blau war wie der Himmel. Als sie den jungen Mann kommen sah, lief sie ihm entgegen und hängte sich an seinen Hals.
    »Sing mir Ladies go to market vor, bitte, Monsieur Loulou!«
    Sie konnte »Monsieur Harteloup« nicht aussprechen und hatte statt dessen einen Namen für ihn erfunden. Yves nahm sie auf seine Knie und summte den Refrain des englischen Liedes für sie; dann fragte er mit tonloser Stimme, die ihm selbst sonderbar vorkam:
    »Sag mal, Fanchon, ist deine Mama krank?«
    »Nein«, sagte Francette und bewegte den Kopf langsam von

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