Das Moskau-Spiel
Vater. Henri hatte gemauert, wie nur einer mauern konnte. Und wenn einer so mauert, nach so vielen Jahren, dann hatte er einen Grund, einen wichtigen Grund. Warum hätte er dem eigenen Sohn eine olle Kamelle verschweigen sollen? Aus pathologischer Geheimnistuerei? Theo verwarf den Gedanken. Er rekapitulierte, was Fath ihm berichtet hatte. Die Tschernenko-Sache, und Henri hing mit drin. Das war klar. Und jetzt drohte Scheffer, in Moskau herumzuhorchen. Es gab nur einen einzigen Mann, der diesen General Eblow gewarnt haben konnte. Er erinnerte sich des Anrufs, den er erhalten hatte, nachdem er von seiner ersten Reise zusammen mit Scheffer in Moskau zurück war, als der Anrufer auflegte, nachdem Theo seinen Namen genannt hatte. Es konnte alles Zufall sein. Und doch zweifelte Theo nicht daran, dass Henri überprüft hatte, ob Theo wieder zuHause war. Und dann hatte er diesen General Eblow angerufen.
Auf dem Rückflug überlegte er, wie er überleben könnte. Er war Mitwisser geworden, und er verstand nun, warum Henris Haus so stark gesichert war. Theo begriff auch, dass die Aktenkopie seine Lebensversicherung war, nur musste er dafür sorgen, dass dieser General in Moskau erfuhr, dass Theo sie besaß und sie nur veröffentlicht würde, wenn ihm etwas geschah. Konnte doch sein, dass Eblow es eines Tages bereute, ihm bei der Flucht geholfen zu haben. Es würde genügen, Henri einen Wink zu geben. Der telefonierte ja gerne mit Moskau. Vielleicht hatte er so eine Chance. Die Magenschmerzen schwollen an und wieder ab. Er legte seine Hände auf den Bauch.
»Geht es Ihnen gut?« Eine Stewardess beugte sich zu ihm, er wäre fast erschrocken.
»Es geht«, sagte er leise.
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Professor Konomarjow war eine Koryphäe der Gerontologie. Das trieb ihm Patienten aus aller Welt zu, und seit das Sowjetsystem untergegangen war, strömten auch alte Menschen aus Osteuropa und Russland zu ihm nach Zürich in seine kleine Privatklinik, die er nun schon seit mehr als zweiundzwanzig Jahren führte. Seine Honorare waren gefürchtet, ein längerer Aufenthalt in seinem Krankenhaus ließ selbst Millionäre erschauern. Doch Konomarjow war für alle, die reich und alt waren, aber die Gebrechen des Alters mildern wollten, ein Engel, der seinen Patienten zwar nicht ewige Jugend, aber doch ein erträgliches Altern schenken konnte. War das nicht fast jeden Preis wert? Ein paar Jahre länger mit einer viel zu jungen Geliebten? Ein paar Reisen mehr, als der liebe Gott eigentlich vorgesehen hatte? Alleindie Vorstellung, ihm ein Schnippchen zu schlagen, steigerte die Lebensfreude manches Patienten auf ungeahnte Weise.
Seltsam erschien manchen nur, dass Professor Konomarjow sich mit dem Geld begnügte, das, wenn es auch reichlich floss, in dieser Zeit doch nur eine Seite der Erfolgsmedaille war, wohingegen er auf die öffentliche Anerkennung, die Homestorys, die erregenden Beziehungsgerüchte, die Paparazzifotos von einsamen Stränden und ganz intimen Partys verzichtete. Niemand hatte je etwas gehört davon, dass Konomarjow private Kontakte pflegte, nie war eine Frau an seiner Seite gesehen worden, nie hatte jemand außerhalb der Klinik von ihm viel mehr gehört als Bitte und Danke. Er war immerhin ein höflicher Mensch, das würden alle bestätigen, die jemals mit ihm zu tun hatten, vom Briefboten bis zum Tankwart. Der Professor hatte keinen Chauffeur, sondern fuhr seinen Bentley selbst. Es gab eine mürrische alte Putzfrau, die, so mochte man meinen, noch nie ein Wort gesprochen hatte, jedenfalls nicht über den Pro fessor, der die Nachbarn aber nachsagten, sie verdiene mit ihrer Arbeit mehr als mancher Hochschullehrer, auf jeden Fall aber mehr als Bankangestellte. Ihr Sohn, ein kräftiger, aber kurz gewachsener Kerl mit halblangen roten Haaren, diente dem Professor als Gärtner und konnte sich erstaunlicherweise ein schweres BMW – Mo torrad leisten, und zwar nicht gebraucht, wie ein Nach bar betonte. Nicht gebraucht, fabrikneu. Ein Gärtner! Es ging ein weiteres Gerücht, nämlich dass die Putz frau und ihr Sohn das Vermögen des Professors oder zumindest einen happigen Teil davon erben würden, wenn sie bis zu dessen Lebensende kein Sterbenswörtchen verlieren würden über den großen Mann und sein wohltätiges Werk. Für manchen war er geradezu ein Heiliger, der geplagten Menschen half und auf die Lobpreisung nichts gab. Man sah von ihm meist nur Schemen, vor allem hinter dem verdunkelten Glas seiner Li mousine, die, so hatte der mit einem
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