Das Mozart-Mysterium
Mehrere Männer unterhielten sich laut und, wie mir schien, stritten miteinander. Ein Lichtschein wurde sichtbar, der aus einem Fenster an der Rückseite des Hauses im Erdgeschoss fiel. Stumm bedeutete ich Mozart, dass er näherkommen solle. Wir stellten uns mit dem Rücken an die Wand und versuchten, die Worte zu verstehen. Vergeblich.
Neben uns befand sich eine einfache Tür. Vorsichtig drehte ich den Türknopf, doch nichts rührte sich. Als ich nach oben blickte, sah ich, dass ein Fenster angelehnt war.
Es kam mir eine Idee: Neben dem Haus stand eine hohe und alte Eiche mit starken Ästen, ich wollte trotz meiner Verwundungen versuchen, auf den Baum zu klettern und durch das halb geöffnete Fenster einzusteigen. Ich könnte dann im Haus hinabgehen und Mozart hereinlassen. Falls ich mich nach unten durchschlagen konnte.
Als ich den untersten Ast erklommen hatte hangelte ich mich – bei unterdrücktem Ächzen – immer höher, bis ich den weit vorragenden Zweig erreicht hatte, der bis an das Haus reichte. Ich musste sehr leise sein, denn das offene Fenster befand sich genau über dem erleuchteten Fenster des Erdgeschosses, hinter dem die Männer sprachen.
Gerade als ich mit der linken Hand nach der Dachkante greifen wollte, um mich durch das Fenster zu hangeln, hörte ich ein hölzernes Krachen. Der Ast, an dem ich hing, gab nach. Ich sprang ab und zum Dach hinüber, mit verzweifelter Kraftanstrengung, landete jedoch zu tief, sodass ich gegen das Fenster im Erdgeschoss geschleudert wurde und mit lautem Klirren des zersplitternden Glases in das Zimmer stürzte.
Erst nach einem Augenblick kam ich wieder zu mir, auf dem Boden liegend. Ich tastete nach meinem Degen, den ich vorher an meinen Gürtel gesteckt hatte, doch er war beim Sturz verloren gegangen. Bohrende Schmerzen pulsierten in meinem Rücken und ich sah, dass meine rechte Hand blutig war.
Jetzt nahm ich zwei sehr große Männer wahr, die über mir standen und mich hämisch anschauten. Ich erhob mich vorsichtig. In diesem Moment hörte ich aus der Mitte des Zimmers eine heisere, gequetscht klingende Stimme: »Seht, seht. David hat es also geschafft! Aber wo ist denn der Herr Mozart geblieben?«
Ich drehte mich herum und erschrak: Vor mir eröffnete sich ein langer Saal, in dessen Mitte sich ein Tisch mit einem großen Kerzenleuchter befand, der die Umgebung erhellte. Neben dem Tisch standen zwei Männer, der eine, der zu mir gesprochen hatte, war ein untersetzter Mann mittleren Alters mit einer großen, weißen Perücke und spitzem, dürrem Gesicht.
Ihm gegenüber stand Lucchesini, der sich verwundert zu mir wandte und in dem Moment, als ich durch das Fenster hereinfiel, mit dem Spitzgesicht gesprochen haben musste. Hinten im Raum waren zwei Sessel, an die jeweils eine Person gefesselt war: links der Geheimrat, rechts Therese, beide geknebelt.
Ich wollte zu Therese hasten, um sie zu befreien, aber die Männer, die neben mir waren, packten mich und drehten meine Arme auf den Rücken. Ich stöhnte laut auf vor Schmerzen. In diesem Moment hörte ich hinter mir eine Stimme vom Fenster her: »Rühren Sie ihn nicht an, Finger weg!«
Und herein sprang Leopold Mozart, durch den leeren Fensterrahmen, in der Hand meinen Degen, den ich draußen verloren haben musste. Er stellte sich neben meine Angreifer und setzte die Waffe einem davon an die Kehle.
Der Spitznasige erwiderte, scheinbar entrüstet: »Aber, aber, Maestro! Es gibt doch keinen Grund für diese Heftigkeit! Wollen Sie nun meiner Gesellschaft beitreten oder nicht?«
Mozart senkte die Waffe, entsetzt und verblüfft zugleich. Es war Mizler! Der große Gelehrte, den Mozart seit Langem verehrte. Verblüfft sagte er: »Ich verstehe nicht? Hat Lucchesini Sie gezwungen, unsere Freunde zu entführen? Wie konnte das alles geschehen?«
In diesem Augenblick sprang Lucchesini auf Mizler zu und packte ihn an der Gurgel. Einer meiner Peiniger ließ von mir ab und eilte Mizler zu Hilfe. Zum Unglück Lucchesinis war der Haudegen Mizlers bewaffnet und streckte ihn mit einem Dolchstoß nieder.
Lucchesini röchelte noch kurz, dann erschlaffte sein Körper. Ich hörte, wie Therese wimmerte, und fühlte mich hilflos und wütend.
Mizler rang nach Luft und rieb sich den Hals. Nach einigen Sekunden hatte er sich wieder gefasst und erklärte weiter: »Sie haben recht. Lucchesini war der eigentliche Übeltäter. Er wollte alle Gesetze einer idealen Melodie kennen und mit diesem Wissen endlich ein perfekter Komponist
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