Das Multiversum Omnibus
als eine schlichte exponentielle Kurve, die zunächst flach anstieg und dann im-68
mer steiler bis zu einem Punkt mit der Bezeichnung ›Heute‹ verlief. »Dies ist eine Darstellung des Bevölkerungswachstums der Menschheit im Zeitverlauf«, sagte Cornelius. »Sie sehen den steilen Anstieg der letzten Jahrhunderte. Es ist eine denkwürdige Tatsache, dass zehn Prozent aller Menschen, die je gelebt haben, heute leben.
Mehr als fünf Prozent aller Menschen, Malenfant, wurden nach Ihnen geboren …
Doch das ist Vergangenheit. Betrachten wir die möglichen zu-künftigen Entwicklungen. Es gibt drei Varianten.« Die Kurve stieg stetig an und verlief dabei immer steiler, bis sie schließlich das Format von Emmas Bildschirm sprengte. »Das«, sagte Cornelius, »ist das Szenario, das die meisten von uns gern sehen würden. Ein kontinuierliches Wachstum der Weltbevölkerung. Das würde wohl die Expansion in den Weltraum erfordern.
Dies ist eine andere Möglichkeit.« Eine zweite Kurve wurde vom ›Heute‹-Punkt extrapoliert und lief schließlich in einer flachen ho-rizontalen Linie aus. »Vielleicht wird die Weltbevölkerung sich stabilisieren. Wir könnten uns mit den Ressourcen der Erde begnü-
gen und einen Weg finden, die Anzahl der Menschen für immer konstant zu halten und unsre Lebensgrundlagen zu erhalten. Ein bukolisches und langweiliges Bild, aber vielleicht nicht das schlechteste.
Aber es gibt noch eine dritte Möglichkeit.« Eine dritte Kurve kletterte ein Stück weit über die ›Heute‹-Markierung – und fiel dann abrupt auf Null ab.
»Mein Gott«, sagte Malenfant. »Ein Crash.«
»Ja. Studien der Populationszahlen anderer Lebewesen, der niederen Tiere und Insekten zeigen oft diesen Verlauf. Krankheiten, Hungersnöte, solche Sachen. Für uns würde es das baldige Ende der Welt bedeuten.
Und nun Folgendes: Sie sehen, dass in den beiden ersten Fällen die überwiegende Mehrheit der Menschen erst noch geboren wird.
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Selbst wenn wir auf der Erde bleiben, haben wir schätzungsweise noch eine Milliarde Jahre vor uns, ehe die irdische Biosphäre durch Veränderungen in der Sonne lebensfeindlich wird. Selbst in diesem Fall hätten wir noch weit mehr Zukunft als Vergangenheit.
Und wenn wir den Planeten verlassen, wenn wir die Art von Zukunft verwirklichen, für die Sie arbeiten, Malenfant, sind die Möglichkeiten viel größer. Angenommen, wir – oder unsre gentechnisch veränderten Nachfahren – kolonisieren die Galaxis. Es gibt vierhundert Milliarden Sterne in der Galaxis, von denen viele seit Milliarden Jahren eine bewohnbare Umwelt haben. Dann wird die gesamte menschliche Population im Lauf der Zeit vielleicht den billionenfachen Stand von heute erreichen.«
»… Aha. Und das ist auch das Problem«, sagte Malenfant gewichtig.
»Sie erkennen, worum es geht«, sagte Cornelius zufrieden.
»Ich nicht«, sagte Emma.
»Erinnere dich an das Spiel mit dem Kasten und den Kugeln.
Wieso sind wir jetzt hier? Falls wir wirklich in den Weltraum expandieren, musst du es dir so vorstellen, dass du als der erste einmil-liardste Teil der gesamten menschlichen Population geboren wärst.
Wie wahrscheinlich ist das aber? Verstehst du es denn nicht, Em-ma? Es ist, als ob ich die Kugel mit meinem Namen aus tausend…«
»Noch viel unwahrscheinlicher«, sagte Cornelius.
Malenfant erhob sich und streifte aufgeregt durch den Raum.
»Emma, ich habe die Statistiken nicht im Kopf. Aber das habe ich mich als Kind immer gefragt: Wieso lebe ich jetzt? Angenommen, wir kolonisieren die Galaxis wirklich. Dann werden die meisten Menschen, die jemals leben, vakuumatmende Cyborgs in einem riesigen interstellaren Reich sein. Und es ist viel wahrscheinlicher, dass ich einer von ihnen wäre als der, der ich jetzt bin. Deshalb ist 70
die einzige Kurve, die uns aller Wahrscheinlichkeit nach im Hier und Jetzt abbildet…«
»Der Crash«, sagte Emma.
»Ja«, pflichtete Cornelius ihr nüchtern bei. »Falls in naher Zukunft der Untergang eintritt, dann werden wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zumindest die nächsten paar hundert Jahre überleben. Aus dem einfachen Grund, weil dies die Periode ist, in der die meisten Menschen, die je gelebt haben oder die je leben werden, existieren. Und wir gehören zu ihnen.«
»Ich glaube das einfach nicht«, sagte Emma unverblümt.
»Es ist zwar unmöglich zu beweisen, aber auch schwer zu widerlegen«, sagte Cornelius. »Sehen Sie es mal von dieser Warte. Angenommen, ich würde
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