1515 - Die Balkan-Bestie
Der Tote stammte nicht aus der kleinen Stadt, die wie ein Fixpunkt in den Bergen lag. Der Mann hatte zu den Wildhütern gehört, die von der EU geschickt worden waren, um den Menschen klarzumachen, wie sie ihre Umwelt zu behandeln hatten, was die meisten Bewohner als überflüssigen Quatsch ansahen, als hätten sie das nicht schon früher gewusst. Da man sich mit den Männern arrangiert hatte, kam man auch mit ihnen zurecht, und so manchen guten Rat hatten sie ihnen ja doch schon gegeben.
Jetzt war der Engländer tot, und das würde Probleme geben. Diego Pankrac wusste das, denn man musste den Mord melden und vor allen Dingen, wie dieser Mensch ums Leben gekommen war.
Tyler hieß er, Frank Tyler. Er war Spezialist für Bodenkultur gewesen, aber er war auch sehr kommunikativ gewesen, denn er hatte so manches Glas mit den Einheimischen geleert.
Blutige Röte breitete sich im Osten aus. Sie bedeckte den Himmel und zeugte von der aufgehenden Sonne. Bald würde der Tag anbrechen, doch die schlimme Tat konnte auch das Sonnenlicht nicht vergessen machen.
Es gab keine morgendliche Stille mehr. Sie war durch das Summen der Fliegen vertrieben worden, die ihren Tanz besonders um den Hals des Toten aufführten. Dort lag die schreckliche Wunde frei. Pankrac hätte gern eine Decke gehabt, um sie über den Toten zu legen, aber er konnte sich keine herbeizaubern, und so ließ er den Toten liegen, wie er ihn gefunden hatte.
Dabei war er nur auf seinem morgendlichen Spaziergang gewesen. So begann er jeden Tag, bevor er in seine kleine Werkstatt ging, die er als Schuhmacher betrieb. Er gehörte zu denjenigen Handwerkern, die genügend Arbeit hatten. Er verstand sein Handwerk noch, wobei er sich nicht auf Schuhe beschränkte, sondern Lederwaren aller Art reparierte, aber auch neue herstellte. Das konnte ein Gürtel sein, aber auch eine Tasche, und genau das war in der heutigen Zeit wichtig, in der die Menschen einfach zu viel wegwarfen und die Müllberge immer mehr anwuchsen.
Auch das hatte ihn der jetzt leider tote Engländer gelehrt, und Diego richtete sich danach. Er war auch jemand, der sich über die neuen Zeiten freute. Jetzt gehörte sein Heimatland Rumänien endlich zu dem großen europäischen Kontinent. Die schrecklichen Jahre der Diktatur waren vorbei. Jetzt hieß es, nach vorn zu schauen.
In dieses Mosaik der Zukunft passte das Bild des ermordeten Engländers nicht hinein. Erst recht die Art und Weise nicht, wie er und von wem er getötet worden war.
Von einem Wolf!
Ja, die Halswunde stammte von einem Wolf. Aber auch da musste er einen großen Abstrich machen, denn dieser Wolf war kein normales Tier.
Man hatte ihn schon öfter erlebt, und die Menschen hatten ihn die BalkanBestie getauft.
Eine Bestie, die zu einer besonderen Gattung gehörte. Denn dieses Tier war ein Werwolf.
Dieser Gedanke war in den letzten Minuten immer öfter bei Pankrac aufgezuckt.
Er hatte gedacht, dass es ihn nicht mehr gab, doch nun mussten die Leute umdenken. Er wusste, dass damit ein Problem auf ihn zukam. Denn wer würde ihm glauben?
Diego Pankrac hob die Schultern. Er wischte über seine Stirn hinweg, die schon jetzt leicht feucht war, was am Wetter lag, denn bereits zu dieser Morgenstunde empfand er die Temperatur als drückend. Es wurde Zeit, dass mal wieder ein Gewitter kam.
Die kleine Stadt schlief noch. Kein Wunder, denn es war Sonntag, zudem noch recht früh. Die Glocken würden erst später läuten, und es würde diesmal ein Totengeläut werden.
Ob der Engländer hier am Brunnen und in der Ortsmitte getötet worden war, konnte Diego nicht bestimmen. Wenn es jedoch der Fall gewesen wäre, dann hätte es übel ausgesehen, denn dann traute sich die Bestie sogar in den Ort hinein.
Der Gedanke daran machte ihn nicht eben fröhlicher. Und er wusste schon jetzt, dass er durch seinen Fund sämtliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde, was ihm gar nicht gefallen konnte.
Wie muss ich vorgehen?
Eine Frage, auf die es nur eine Antwort gab. Zuerst musste die Polizei Bescheid wissen.
Jonny Rogowski war hier der Chef. Ein junger Mann mit deutschen Wurzeln.
Er machte seinen Job gut, er ruhte in sich selbst, wollte wenig Ärger und konnte sehr konsequent werden, wenn es ihn trotzdem gab.
Natürlich würde er noch schlafen, doch das war Diego egal. Er musste seinen Weg gehen, es musste alles seinen Weg gehen, und dann musste vor allen Dingen eine Panik vermieden werden, denn geheim konnte der Fund nicht bleiben.
Er hätte Jonny auch
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