Das Multiversum Omnibus
an der Stirn. Und der Penis war fast ganz abgetrennt und hing nur noch an einem Hautfetzen. Das Fell war mit Blut, Urin und Kot beschmutzt, den er vor lauter Angst abgesondert hatte.
Die Frauen starrten ihn nur an.
Er schaute sich unsicher um, als ob er blind wäre und wimmerte wie ein kleines Kind. Dann stolperte er allein in den Wald.
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Schatten kam aus der Deckung der Bäume hervor.
Silberrücken rückte für sie zur Seite. Eine der jüngeren Frauen knurrte, aber Schatten versetzte ihr einen so harten Schlag gegen die Schläfe, dass sie seitwärts umkippte. Schatten setzte sich zu der Gruppe und stopfte sich Feigen in den Mund. Doch niemand würdigte sie auch nur eines Blickes, niemand kämmte sie, und selbst die Kinder mieden sie.
Als in jener Nacht die Rufe zum Sammeln ertönten, kehrte Einauge nicht zurück.
Reid Malenfant:
Malenfant war in einer dunklen schmutzigen Zelle angekettet. Sie war nur ein mit Ziegelsteinen verschaltes Loch, dessen feuchter Lehmboden mit einer dicken Schmutzschicht überzogen war. Das einzige Licht drang durch ein vergittertes Fenster in der Decke.
Die Tür war schwer und wurde an der Außenseite durch ein massives hölzernes Schloss gesichert.
Er berührte die Mauer. Die Ziegelsteine waren mürbe. Vielleicht würde es ihm gelingen, ein paar Steine herauszubrechen und die Löcher als Tritte zu benutzen, um das Fenster zu erreichen.
Aber was dann? Was dann, wenn du aus dem Fenster geklettert wärst und mitten auf Lobegotts Hof stündest …?
Du hast es hier nicht mit rationalen Leuten zu tun, Malenfant, sondern mit fanatischen Glaubenseiferern.
Es stimmte zwar, dass Lobegott hier einen Platz mit einer relati-ven Ordnung erschaffen hatte. Jedoch war dies eine Insel der Starre in einer Welt des Flusses und des Wahnsinns, eine Welt, wo trotz der von Lobegott verhängten Disziplin Vernunft ein knappes Gut war, eine Welt, wo die Sterne förmlich am Himmel rotierten – wie Malenfant auch den Eindruck hatte, dass Lobegotts krank-482
und wahnhafter Kern ständig durch die Fassade der Beherrschung zu brechen drohte.
Es gab nichts, was er zu tun vermochte; nichts, womit er den Verstand zu beschäftigen vermochte.
Manchmal war es jedoch am mutigsten, überhaupt nichts zu tun. Tunix-Helden: War das eine Wortschöpfung von Conrad?
Wenn man wirklich nicht die geringste Möglichkeit hatte, seine Situation zu verändern, dann hatte es keinen Sinn, so viel Energie in die Unterdrückung der Angst zu stecken, dass man ausgebrannt war, wenn die Chance zum Ausbruch sich bot.
Während er einsam und allein im Dunklen und im Schmutz saß, fragte Malenfant sich, wie lang die Tunix-Helden wohl noch die Stellung für ihn halten würden.
Schließlich wurde er Lobegott Michael vorgeführt.
In Lobegotts Kapellen-Residenz musste Malenfant zunächst warten und stand vielleicht eine Stunde lang mit gefesselten Händen und Füßen vor Lobegotts verlassenem Tisch.
Schließlich trat Lobegott langsam und kontemplativ ein, mit dem Ham-Jungen an seiner Seite. Lobegott würdigte Malenfant keines Blicks. Er setzte sich an den Tisch, und ein Ham-Mädchen brachte ihm ein Tablett mit Fischstücken auf harten dunklen Brot-scheiben, einen Napf mit etwas, das wie Senf aussah, und eine hölzerne Karaffe mit Wein. Lobegott dippte ein wenig Fisch in den Senf und verspeiste ihn. Dann reichte er den Rest an den auf dem Boden sitzenden Ham-Jungen weiter, der ihn heißhungrig aufaß.
Lobegott machte einen abwesenden, fast konfusen Eindruck auf Malenfant. »Ich war gezwungen, Sir McCann zu bestrafen. Ihr wisst warum – Ihr wart schließlich Zeuge seiner blasphemischen Respektlosigkeit. Seine Seele ist hart und in eine Form der Schändlichkeit gegossen. Aber Ihr … Ihr seid anders. Ihr sucht die Frau, die Ihr liebt; ihr werdet von einem ritterlichen Eifer angetrieben.
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In Euch sehe ich eine Seele, die höheren Zielen zugewandt werden könnte.«
»Rechnen Sie nicht damit«, sagte Malenfant.
Lobegotts Augen verengten sich. »Ihr solltet Euch nicht auf Gottes Gnade verlassen.«
»Dieser Ort hat nichts mit Gott zu tun«, sagte Malenfant gleichmütig und schaute Lobegott fest an. »Sie spielen mit Menschenle-ben, aber Sie sehen nicht einmal das, nicht wahr? Lobegott, dieser Ort, dieser Mond – ist ein Artefakt. Nicht von Gott erschaffen.
Von Menschen. Von Menschen, Lobegott. Menschen, die sich vielleicht so sehr von Ihnen und mir unterscheiden, wie wir uns von den Elfen unterscheiden. Aber es sind dennoch
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