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»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)

»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)

Titel: »Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Bahr
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ich ihn in Gegenwart anderer verstand, wenn er nur den Kopf bewegte oder eine Braue hob. Die politische Richtung stimmte. Da gab es keine Überraschungen.
    Die Wahl Willy Brandts zum Regierenden Bürgermeister im Oktober 1957, ein halbes Jahr nach meiner Rede, nahm ich in Bonn nur am Rande wahr. Doch seine zunehmende außenpolitische Bedeutung imponierte mir. Ich fand es großartig, was er für Berlin erreichte. Mit echter Bewunderung blickte ich zu ihm auf, dachte aber keine Sekunde daran, dass ich jemals für ihn arbeiten würde. Auch in der Bundesregierung erwog niemand ernsthaft, dass da einer kam, mit dem zu rechnen war. Nicht einmal Adenauer.
    1959 beschloss die Bundesregierung, einige Journalisten an unsere Botschaften in den Entwicklungsländern zu entsenden. Nach dem Ultimatum Chruschtschows von 1958, mit dem er die Umwandlung West-Berlins in eine »Freie Stadt« und den Abzug der Truppen der Westalliierten forderte, sollten sie gegen die Anerkennung der DDR durch diese Staaten arbeiten. Ich wurde Regionalbeauftragter für Westafrika in Ghana. Nach meiner Rückkehr bot mir Außenminister Heinrich von Brentano (CDU) meine weitere Verwendung und die Übernahme ins Auswärtige Amt an. Fast gleichzeitig machte Henri Nannen das berauschende Angebot (13. Monatsgehalt zu Weihnachten, 14. Monatsgehalt zum Urlaub, Dienstwagen und Haus), als sein Stellvertreter den Stern zu einer politischen Zeitschrift zu machen. Noch während ich überlegte, rief der Berliner Bundessenator Günter Klein an: Der Regierende Bürgermeister wolle mich sprechen.
    Ich traf Brandt in der Lobby des Bundestages um zehn Uhr früh – für ihn, wie ich später erfuhr, fast mitten in der Nacht. Er fragte nur knapp im Stehen, ob ich bereit sei, Pressechef bei ihm zu werden. Ich zögerte keine Sekunde mit dem »Ja«. Alles Weitere solle ich mit dem CdS besprechen. »Wer oder was ist der CdS?« »Chef der Senatskanzlei. Wenn Sie sich mit dem einigen, ist alles in Ordnung.« Ich fragte nach dem Amtsinhaber: »Er geht in Pension.« »Wann soll ich denn in Berlin anfangen?« »Möglichst bald.« Das Gespräch dauerte keine drei Minuten. So schnell kann eine lebensbestimmende Entscheidung fallen. Der CdS hieß Heinrich Albertz. Mit ihm vereinbarte ich die Einzelheiten und den Beginn meiner Tätigkeit als Leiter des Presse- und Informationsamtes des Senats von Berlin zum 1. Februar 1960.
    Vom Nebeneinander
zum Miteinander
    Ein oder zwei Tage nach Dienstantritt fand unser erstes persönliches Gespräch statt. Am späten Abend saß ich Brandt allein an seinem imposanten Schreibtisch gegenüber. »Eigentlich kennen wir uns noch gar nicht«, war mein erster Satz. Schon bei dieser harmlosen Feststellung wurde sein Gesicht starr. Das musste eine Mimose sein, meine Bemerkung als plumpen Annäherungsversuch zu verstehen. Sein Mienenspiel empfand ich als warnende Zurechtweisung. Es lockerte sich, als ich fortsetzte: »Ich werde Ihnen immer sagen, was ich denke. Auch wenn es Ihnen nicht gefällt.« Er unterbrach: »Wenn es zu schlimm ist, dann aber bitte nur unter vier Augen.« Meine Antwort: »Ihre Entscheidungen gelten, es sei denn, es geht um eine Gewissensfrage.« Sie hat sich nie gestellt.
    Näher konnte man ihm nur kommen, wenn man ihm nicht zu nahe kommen wollte. Der Respekt vor der Grenze, mit der er sein Innerstes schützte, wurde mir im Laufe der Zeit zur Selbstverständlichkeit und für ihn zu der Sicherheit, jeweils selbst zu bestimmen, wie weit er sich aufschließen wollte. Ich fragte ihn nie nach Persönlichem, obwohl manches mich durchaus interessierte, wenn er nicht selbst davon anfing. Auch Gerüchte, die in der Presse berichtet wurden, blieben tabu. Das Geheimnis unseres wachsenden Vertrauens war, dass keiner jemals versuchte, Vertrauter des anderen innersten »Ich« zu werden.
    Die Autorität eines Mannes, der eine Wahl in Berlin glanzvoll gewonnen und eine erfolgreiche Weltreise hinter sich hatte, konnte verunsichern. Er war vom japanischen Kaiser Hirohito und vom indischen Premierminister Nehru, vom UN-Generalsekretär Hammarskjöld und von Präsident Eisenhower empfangen worden; in New York hatte man ihn mit einer Konfettiparade geehrt. Hinzu kam die Sorge des Journalisten, der plötzlich nicht mehr sagen durfte, was er wollte, sondern verantworten musste, was er für den Senat von Berlin von sich gab. Ob ich mich seiner Diktion anpassen und meinen Stil verlieren würde, war ein Gedanke, der erst im Laufe der Zusammenarbeit langsam

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