Insel der Sehnsucht, Insel des Gluecks
1. KAPITEL
Chloe wusste, dass sie früher oder später ins Hotel zurückkehren und Derek gegenübertreten musste.
So früh am Morgen hatte sie den Strand ganz für sich, aber schon bald würde er sich mit anderen Urlaubern füllen. Sie und Derek hatten bewusst diese Insel ausgesucht, weil sie so klein war. Dort würden sie die Zeit und Ruhe finden, um ihre Beziehung zu vertiefen, hatte Derek ihr gesagt, doch Chloe war nicht klar gewesen, dass er dabei über ihre rein
freundschaftliche Beziehung hinaus im Sinn hatte, mit ihr ins Bett zu gehen. Sie hatte ihm in ihrem Verhalten keinen Anlass gegeben zu glauben, dass dieser gemeinsame Urlaub ihrem Einverständnis zu einer Liebesbeziehung gleichkam.
Wie wenig man die Menschen doch kannte, mit denen man tagtäglich zusammen war! Sie und Derek arbeiteten jetzt seit achtzehn Monaten zusammen. Langsam und stetig hatte sich eine Freundschaft zwischen ihnen entwickelt, wobei Chloe vor allem Dereks Verlässlichkeit und das Fehlen jeglicher sexueller Anspielungen schätzen gelernt hatte. Deshalb hatte sie auch nicht gezögert, als er ihr vorgeschlagen hatte, den Urlaub gemeinsam zu verbringen. Ein Fehler, wie ihr inzwischen klar war. Etwas beunruhigt hatte sie nur sein Vorschlag, Griechenland als Urlaubsziel zu wählen - doch sie hatte diese Ängste weggeschoben. Schließlich war es dumm, für immer eine der schönsten Gegenden auf der Erde zu meiden wegen etwas, das längst vorbei und vergessen war.
Chloe blickte auf, wobei ihr nicht bewusst war, was für einen bezaubernden Anblick sie in den kurzen weißen Shorts und dem leichten Baumwolltop bot. Ihr Teint war bereits sanft gebräunt und bildete einen reizvollen Kontrast zu ihrem weißblonden Haar, das ihr seidig weit über die Schultern fiel. Anmutig strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht. Im Büro trug sie ihr Haar normalerweise hochgesteckt. Vielleicht bin ich ja selber schuld an Dereks verändertem Verhalten, dachte sie ironisch. Stand nicht schon in der Bibel etwas über die gefährliche Verlockung offenen Haares?
Als sie langsam zur Hotelanlage zurückschlenderte, wurde sie von verschiedenen Seiten gegrüßt. Obwohl sie und Derek erst gestern angekommen waren, hatte Chloe mit ihrer Anmut und ihrer auffälligen Schönheit bereits Aufmerksamkeit erregt -
ein Phänomen, das sie aus jenen Tagen kannte, in denen sie als Model für ein Pariser Modehaus gearbeitet hatte. Heute hätte Monsieur Rene sie allerdings nicht mehr unter Vertrag genommen. Zwar waren ihren langen Beine noch genauso wohlgeformt, und ihre Taille war noch genauso schmal, doch aus der mädchenhaften Achtzehnjährigen von damals war in den vergangenen fünf Jahren eine erwachsene Frau mit verfü hrerisch gerundeten Brüsten und Hüften geworden.
Große Deckenventilatoren sorgten im Hotelfoyer für angenehm kühle Luft und rundeten das malerische
Jahrhundertwende-Ambiente ab. Es war eines der luxuriösesten Hotels, das Chloe je gesehen hatte. Derek hatte es ausgewählt, und sie hatte nicht widersprochen, weil auch ihr klar war, dass Ungestörheit ihren Preis hatte - und die war auf Thos ganz sicher garantiert.
Das Hotel war das einzige auf der kleinen Insel in der Ägäis, kein seelenloser Betonklotz, sondern eine architektonisch geschmackvolle Anlage, die ihren Gästen allen erdenklichen Komfort bot. Was sich offensichtlich herumgesprochen hatte, denn es war ausgebucht.
Ein lukratives Geschäft für wen auch immer, überlegte Chloe zerstreut, während sie am Empfang auf ihren Schlüssel wartete.
Sie konnte sich nicht entscheiden, ob sie Derek von ihrem Zimmer aus anrufen oder bei ihm anklopfen und nachsehen sollte, ob er schon auf war. Eigentlich war es ihre Art, die Dinge ohne Umschweife beim Namen zu nennen, und sie neigte dazu, dies auch von anderen Menschen zu erwarten - ein Fehler, wie sie oft hatte feststellen müssen. Offensichtlich hätte sie Derek von Anfang an noch deutlicher klarmachen müssen, dass sie einen gemeinsamen Urlaub zwar als Mittel zur Vertiefung ihrer Freundschaft, nicht jedoch als Einladung, mit Derek das Bett zu teilen, betrachtete.
Der gestrige Abend hatte ihr die Augen geöffnet. Derek hatte wie ein schmollendes Kind reagiert, als sie ihm klipp und klar gesagt hatte, aus ihnen würde kein Liebespaar werden. Ärgerlich rief sie sich seine Reaktion ins Gedächtnis.
"Es ist doch nicht so, dass du noch Jungfrau bist!" hatte Derek sie wütend angefahren. Als würde allein diese Tatsache jedem Mann das Recht geben,
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