Das Mysterium der Zeit
ist das Bein Eures Freundes so übel zugerichtet? Er wurde doch nicht etwa von einer Schlange gebissen?«, fragte ich.
|363| Die drei Individuen zögerten ein wenig, die ersten beiden wechselten einen raschen Blick, als wollten sie sich beratschlagen, bevor sie antworteten. Der Hinkende schwieg merkwürdigerweise auch jetzt.
»Natürlich ist er von einer Schlange gebissen worden, Signore«, antwortete der Erste für ihn, »aber das ist normal auf einer Insel wie dieser, hier wimmelt es von Blindschleichen und Vipern.«
Wie eine Flamme spürte ich in meinem Rücken die Welle heißen Begehrens, die diese undurchsichtige Antwort im Grüppchen unserer Gelehrten ausgelöst hatte. Philos Ptetès von einer Schlange gebissen, jener grobe Bauer ohne Sprachvermögen von einer Schlange gebissen. Der slawonische Mönch ein Besucher der Piana dei Morti (wenigstens Nummer Drei zufolge), der Hinkende ein Bewohner jener Ebene, wie seine beiden Kameraden sagten. Ganz zu schweigen von den langen schwarzen Bärten, die mit dem übereinstimmten, was du, Atto, vor zwei Jahren am Kinn des slawonischen Mönchs gesehen hattest.
Sofort hefteten sich die Blicke unserer Leidensgefährten auf dich und mich, um herauszufinden, ob wir den slawonischen Mönch erkannten. Aber wir rührten uns nicht.
Darauf richteten sich die Blicke aller auf die große Tasche, die der Zweite über der Schulter trug: War es die von Philos Ptetès?
»Gefällt es Eurem Freund nicht, mit uns zu sprechen?«, fragte Schoppe, auf den Hinkenden weisend, doch sein Ton war weniger spöttisch als zuvor.
»Er hat vor langer Zeit die Sprache verloren«, beeilte sich der Erste zu erklären, »durch eine schwere Krankheit.«
»Dann werden wir also nie das Vergnügen einer Konversation mit ihm haben«, schlussfolgerte Schoppe.
»So ist es leider«, wurde ihm knapp beschieden. »Und jetzt gehen wir zur Torre Vecchia, wenn Ihr wollt.«
»Ja!«, riefen Guyetus und Naudé lebhaft aus, »zum Abendessen werdet Ihr unsere Gäste sein.«
»Hoffentlich schmeckt Euch unsere armselige Kost«, fügte Schoppe in einem demütigen Ton hinzu, den man aus seinem stets zu verächtlichen Reden aufgelegten Mund nie erwartet hätte.
Als wollte sie unsere Begegnung mit den drei derben Landmännern segnen, warf sogar die Sonne ein paar blasse Strahlen zwischen uns. Das Trio der Insulaner ging voran, um uns den Weg zur Festung |364| zu zeigen, den wir in den nächtlichen Stunden verloren hatten. Der Schatten, den die drei auf den Boden warfen, erschien mir nun wie der Schatten des Philos Ptetès.
DISKURS LI
Darin die drei zunächst verachtenswerten Inselbewohner sich als sehr wertvoll entpuppen und von der berühmten Abtei von Gorgona die Rede ist.
Dank des schönen Wetters legten wir den Weg, der vom Wald auf die Küstenstraße und von dort zur Torre Vecchia führte, dieses Mal relativ zügig zurück. Die drei sonderbaren Individuen fühlten sich offensichtlich in diesem Teil der Insel wie zu Hause und führten uns so leichtfüßig, dass wir kaum mit ihnen Schritt halten konnten.
Schon schnappten unsere Gelehrten nach Luft, denn sie versuchten, an der Seite der rüstig ausschreitenden Männer zu bleiben und ihnen gleichzeitig entscheidende Informationen zu entlocken.
»Seid Ihr schon öfter in der Torre Vecchia gewesen?«, fragte Guyetus.
»Ach nein, nicht oft«, antwortete der zweite Bärtige, »es ist ein überaus langweiliger Ort.«
»Warum? Sind Euch andere Orte auf dieser Insel lieber?«, fragte ich.
»Versteht sich: zum Beispiel die Abtei.«
»Eine Abtei? Davon wussten wir nichts«, keuchte Schoppe, dem der Marsch bereits zusetzte.
»Dann kennt Ihr die Vorzüge dieser Insel wirklich nicht, Signori«, bemerkte der Erste mitleidig, während der Zweite lachend nickte und der Hinkende, der trotz seines Leidens kraftvoll ausschritt, die ostentative Überlegenheit der anderen mit seinem Mienenspiel getreu nachahmte.
Unschwer ließ sich vorstellen, wie sehr die herablassende Behandlung durch diese Vogelscheuchen unsere auf ihre Bildung so stolzen Gelehrten indignierte. Sie erduldeten sie nur, weil die drei vielleicht etwas über Philos Ptetès und seine sagenhaften Handschriften wussten.
»Oh, dann erzählt uns doch bitte davon«, bat Caspar Schoppe mit gekünstelter Höflichkeit.
|365| Die zwei mit der Gabe der Rede ausgestatteten Bärtigen berichteten, dass die Insel Gorgona so genannt wurde, weil ihre Silhouette von der Küste aus gesehen an klaren, sonnigen Frühlingstagen
Weitere Kostenlose Bücher