Das Mysterium der Zeit
auf dieser Reise begleitete, hatte trotz seiner ausgezeichneten Kontakte nichts in Erfahrung bringen können. Seit einiger Zeit schrieb der päpstliche Nuntius in Frankreich in seinen Briefen nach Rom, dass in Paris ein Ballett für den Herzog von Enghien, den Sieger der Schlacht bei Rocroi, vorbereitet werde, von dessen Großartigkeit und Prächtigkeit alle bereits schwärmten, ohne doch das Geringste darüber zu wissen (das Schöne an den Franzosen ist ihre Begeisterungsfähigkeit, sagte Pasqualini immer). Von musikalischen Dramen hingegen war keine Rede.
Kaum waren wir im Hafen von Livorno angekommen, hatte Malagigi bei allen anderen Sängern, die seit Tagen darauf warteten, sich einschiffen zu können, Erkundigungen eingeholt. Während der langen Aufenthalte in einer Taverne am Hafen war ich immer wieder zur Anlegestelle geeilt, um zu erfahren, wann wir auf das Schiff gehen konnten, und unterdessen hatten die Sänger und Musiker alle nur erdenklichen Vermutungen bis hin zu den dümmsten Klatschgeschichten ausgetauscht. Doch das Ergebnis war nur, dass niemand wusste, warum wir alle auf Befehl Kardinal Mazarins in ein Schiff gepfercht werden sollten, das uns bis ins ferne Paris bringen würde. Im letzten Moment waren wir dann aus Platzgründen (wie Malagigi vermutete) auf mehrere Schiffe verteilt worden. Der größte Teil der Sänger, einschließlich deines Bruders Jacopo, war ein paar Tage vor uns auf einem Handelsschiff nach Marseille abgereist. Malagigi, Barbello, die Sopranistin Rosina Martini, du und ich in deinem Gefolge, waren mehrmals an die Mole gerufen worden, wo wir stundenlang vergeblich warteten. Das hatte beträchtlich an unseren Nerven gezerrt, bis ich nach endlosem Hin und Her von einer Anlegestelle zur anderen endlich mit der Nachricht zurückkehren konnte, dass wir an Bord einer prachtvollen Kriegsgaleere geladen waren. Der Kommandant des Schiffes hatte sich für die Wartezeit entschuldigt, indem er mir sagte, es sei der ausdrückliche Wunsch Seiner Eminenz Kardinal Mazarins gewesen, dass ihr vier, die berühmtesten Sänger, die am Hof erwartet wurden, mit größtmöglicher Bequemlichkeit reist. Man hatte darum dieses prachtvolle Schiff der französischen Kriegsflotte ausgesucht, das nach militärischen Operationen gegen spanische Schiffe im Toskanischen Meer |28| nun seine Heimreise in den Hafen von Toulon antreten sollte. Der Stolz über eine so privilegierte Behandlung hatte deine und Malagigis Befürchtungen ein wenig gemildert und euch über die Absichten des Kardinals beruhigt.
Doch an Bord war der nagende Zweifel wieder aufgetaucht. Der Abbé Francesco Buti, der das Libretto für die neue Oper hätte schreiben sollen, und der Komponist, dein geliebter Lehrer Luigi Rossi, saßen seit Monaten untätig in Paris. Um nicht ganz müßig zu sein, komponierte Rossi ein paar Kantanten für Solostimme. Mazarin machte nicht die leiseste Anspielung auf irgendein musikalisches Werk, trug Rossi aber gleichzeitig auf, fast täglich nach Rom zu schreiben, um die Abreise italienischer Sänger zu beschleunigen. Der Kardinal übte vermittels seiner Agenten sogar Druck auf Italien aus und ließ die zur Reise bereiten Sänger auf französische Kriegs- oder Handelsschiffe bringen, die in toskanischen Gewässern kreuzten. Doch mehr geschah nicht. In den nächsten Monaten war nur das Ballett für den Herzog von Enghien geplant, worin es nicht einmal für ein Fünftel aller von Mazarin nach Paris bestellten Sänger eine Rolle gab. Warum dann dieses beharrliche Drängen beim Papst in Rom und bei den Medici in Florenz, warum die anmaßenden Forderungen, die einen diplomatischen Zwischenfall heraufzubeschwören drohten? Den Florentinern hatte der Kardinal sogar geschrieben, dass die Königin Anna es ohne dich nicht aushalten könne. Aber die Rechnung ging nicht auf – es würde Monate brauchen, um das Libretto und die Musik für Sänger und Orchester zu schreiben, das Stück einzustudieren und die Bühnenbilder zu entwerfen und zu bauen. Das bedeutete, dass auch du, lieber Atto, zu langer, unerklärlicher Untätigkeit verurteilt sein würdest.
In deinem Blick las ich dieselbe Bestürzung und Unruhe wie in dem aller anderen Musiker. Du hattest keine Zeit zu verlieren. Die Bahn deiner Karriere wies steil in die Höhe, jeder Monat, jede Woche konnte den Augenblick des großen Erfolges bringen, das Erreichen des Gipfelpunktes, der dir endgültig jenen Ruhm sichern würde, von dessen Erträgen du für den Rest deines
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