Das Mysterium der Zeit
Lebens würdest zehren können. Vielleicht würdest du vom König ein Benefizium erhalten, eine Pension, eine Sinekure. Warum also nach Paris gehen und dort die Hände in den Schoß legen müssen? Was um alles in der Welt hatte der Kardinal vor?
|29| »Verschwinde, du Idiot!«, schriest du Barbello an, während du versuchtest, ihm einen Tritt zu geben. Erst hatte er dir den verschmähten Lorbeer angeboten, dann hatte er dir blitzschnell einen Batzen eiskalte, tropfnasse Algen in die Hose gestopft und war grinsend davongelaufen.
Hin- und hergerissen zwischen Lachen und Wut, doch sorgsam bedacht, mir ja nicht zu gehorchen und deinen Hals endlich vor dem Wind zu schützen, warfst du einen Blick über das Meer, in dem deine ganze Verwirrung lag.
Gewiss, die prächtige französische Galeere, die uns über das Meer trug, war wirklich etwas anderes als das knarrende italienische Handelsschiff, das uns auf der ersten Reise beherbergt hatte. Dieses Mal schliefen wir nicht gänzlich angekleidet im Kielraum unter den Bänken der Ruderer auf spärlichen Strohhaufen ausgestreckt, unter Fenstern so eng wie Schießscharten. Wir beide hatten, ebenso wie andere Passagiere, ein kleines Gelass für uns, fast wie die Kabinen der Offiziere an Bord. Das Schiff war nicht groß, aber außergewöhnlich gepflegt, die hölzerne Reling mit Schnitzereien verziert, der Rumpf reich vergoldet, und am Heck hing eine wunderschöne Laterne aus buntem Glas von ungewöhnlich kostbarer Machart. Sogar die auf beiden Seiten mit Arabesken verzierten Ruderblätter waren eines Kunsttischlers würdig.
Doch aller Prunk war dir gleichgültig geworden. Auf diesem Schiff auf offener See fehlte dir Luigi Rossi, der große Maestro, der dich in Rom in die geheimen Finessen der Gesangskunst eingeweiht hatte. Du konntest es kaum erwarten, ihn in Paris zu sehen, wo er dir vielleicht sogar Mazarins unverständliche Pläne erklären würde. Auch seine Gemahlin Costanza fehlte dir, die rotblonde Harfenistin und Sängerin, die deinen Gesang bei Rossis Unterrichtsstunden so oft begleitet hatte. Dir fehlte der Anblick der eleganten, hochmütigen Fürsten von Rom, wenn sie aus ihrer Kutsche steigen und Lakaien ihnen mit Peitschenhieben einen Weg durch die Menge bahnen, dir fehlten die Kardinäle in ihren purpurroten Soutanen und glänzenden Schuhen – Eminenz, ich küsse Euren Ring, habt die Gnade, mich mit Eurer Protektion zu beehren …
Sieben oder acht Tage Seereise von Livorno nach Toulon, dann weiter zu Lande. Schlecht essen, noch schlechter schlafen: Unbilden, die auch die Kräftigsten zermürben. Auf der ersten Reise hattest du das Schaukeln des Schiffs gut ertragen, diesmal musstest du dich schon am ersten Tag dreimal übergeben. Die glänzenden, kahlrasierten Schädel |30| der rudernden Galeerensträflinge, die Rücken der türkischen Sklaven und die sonnenverbrannten Schultern der Bereitwilligen, der gedungenen Ruderer mit ihren schweißgetränkten Bärten, waren der einzige Anblick, der sich deinen Augen bot. Hinzu kam der unerträgliche Gestank von Erbrochenem und Kot, der auf Kriegsschiffen herrscht und von dem alle sagen, er sei schlimmer als der Gestank auf Sklavenschiffen. Zwischen zwei Ruderschlägen spuckten die Sträflinge auf den Boden und warfen dir und Malagigi finstere Blicke zu: Frauen an Bord bringen Unglück, von Kastraten ganz zu schweigen.
Nicht zuletzt fehlte dir wohl auch der Zauber der Nächte im Freien, wo du zwar die Bequemlichkeit des Kastells am Heck entbehren musstest, aber dennoch vor der Kälte geschützt warst, dank des Feuers an Deck, der Tiere, die mit uns reisten, deiner Jugend und sonderlich der Frauen. Dieses Mal war die Checca schon in Paris, also fehlte dir das mütterliche Geschick einer erfahrenen Sängerin, die es fertigbrachte, dass du dich noch wenig als Mann fühltest. Damals, auf unserer ersten Reise nach Paris, warst du unter dem schwarzen Gewölbe des bestirnten Himmels und einer diskreten Decke wirklich gut versorgt. Ihre Schwester Margherita Costa aus Venedig hätte mit uns an Bord sein sollen, eine in ganz Rom bekannte Sängerin und Kurtisane, auf die du sehr neugierig warst. Doch seltsamerweise bekamen wir sie nicht zu Gesicht, und man berichtete uns, sie habe sich schon vor unserer Ankunft im Hafen von Livorno nach Frankreich eingeschifft.
Freilich kannte ich auch das Geheimnis deines jugendlichen Herzens: Eben fünfzehnjährig und schon seit einigen Jahren im persönlichen Dienst der Brüder des Großherzogs
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