Das Netz weiß ALLES!
demütigend ist diese ganze Vorstellung.
„Bleiben Sie doch, lieber Freund, bleiben Sie“, kommt es da aber ölig von seinem Gegenüber, „glauben Sie denn im Ernst, wegen solcher Lappalien, solchen kleinen menschlichen Schwächen, verzichten wir auf qualitativ hochwertige Mitarbeiter?“
Herr X setzt sich wieder.
„SIE sollten nur wissen, dass WIR wissen, und sich entsprechend verhalten. Ist das etwa zu viel verlangt?“, fragt er anklagend und setzt sich ächzend wieder hinter seinen Schreibtisch. „Ich lese Ihnen jetzt einfach mal vor, was wir aus dem Netz so alles über Sie zusammen getragen haben, und Sie sagen mir, was stimmt und vor allem, was NICHT stimmt. Wir haben ja schon mal einen Fehler gemacht und den wollen wir doch nicht wiederholen. Sind Sie bereit?“
Herr X nickt nur mit trockenem Mund, erschöpft und stumm.
Der Personalleiter öffnet ein umfangreiches Dossier und beginnt mit leiser, monotoner, teilnahmsloser Stimme seinen Vortrag. Offensichtlich hat er das schon so oft gemacht, dass es ihn sichtlich langweilt.
Herrn X aber nicht. Gespannt und atemlos hört er zu.
[Persönliche Daten]
„Sie heißen Eugen Mustermann, sind am 07.07.1967 geboren und wohnen in der Fliederstr. 11. Sie sind verheiratet und haben zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter.
Ihre ehemaligen Adressen sind …“, leiernd zählt er die Wohnsitze seit seiner Kindheit auf, „Ihre Staatsangehörigkeit ist deutsch, Ihre Rasse kaukasisch. Sie sind Mitglied einer rechtsradikalen Partei“, er nennt den Namen,“ und gleichzeitig Mitglied im Kirchengemeinderat, sie sind katholisch, aber in Blogs unter den Pseudonymen xyz“, er listet Blogs und Pseudonyme korrekt auf, „mit antiislamischen und antisemitischen Beiträgen auffällig geworden.“
„Glauben Sie mir, Herr X, der Koran und der Talmud sind wesentlich friedlicher als die Bibel. Sie werden oft nur falsch ausgelegt bzw. interpretiert. Aber Ihre politischen und religiösen Ansichten sind natürlich Ihre Privatsache“, beeilt er sich zu versichern, „solange sie kein schlechtes Licht auf unsere Firma werfen. Und im Falle einer Anstellung ist dies leider der Fall. Deshalb und nur deshalb haben wir uns Ihre Blog-Aktivitäten etwas genauer angeschaut. Viele glauben ja, sich hinter der Anonymität eines Pseudonyms verstecken zu können. Aber wie Sie gesehen haben, ist das leider eine Illusion. Aber das nur am Rande. Machen wir weiter!
Sie gehören nach unseren Online-Recherchen keiner Gewerkschaft an, nun ja, wäre für die Positionen, die Sie bekleidet haben und für den Posten, den Sie in unserer Firma anstreben, nun wirklich nicht angemessen.
Sie haben keine ansteckenden Krankheiten, gehen regelmäßig zur Vorsorge bei Ihrem Hausarzt, sehr vernünftig, treiben regelmäßig Sport (Joggen, Wandern, Tennis, Bodybuilding) und haben nie psychologische oder psychiatrische Hilfe in Anspruch genommen. Alles in allem sind Sie körperlich und geistig topfit, wie wir dem Computer Ihres Hausarztes Dr. NN entnehmen konnten.
Ihre Sozialversicherungsnummer ist 4711, die Fingerabdrücke, die Ihnen unser Pförtner entnahm, sind identisch mit denen, die Sie bei Ihrer USA Reise am xx.xx.xxxx beim amerikanischen Zoll hinterließen. Sie waren also tatsächlich in den Staaten.
Sie gehören keinem Interessenverband an, jedenfalls konnten wir keine Mitgliedschaft eruieren“, fragend schaut er ihn an, Herr X nickt bestätigend.
„Sie waren nicht beim Militär, in den Datenbanken der Bundeswehr sind Sie jedenfalls nicht verzeichnet. Auch beim Verfassungsschutz, BND und MAD sind Sie ein unbeschriebenes Blatt, haben sich also während Ihres Studiums vermutlich tatsächlich auf Ihr Studium konzentriert?“ Ein fragender Blick, ein zustimmendes Nicken.
„Sie spenden maßvoll an Ihre Partei, wie deren elektronischen Unterlagen zu entnehmen ist. Naja, verständlich in Ihrer misslichen Lage. Ihrer katholischen Kirchengemeinde haben Sie aber von Ihrem Nummernkonto am tt.mm.jjjj anonym einen ansehnlichen Betrag überwiesen. Löblich, löblich! Er ist auch angekommen, Ihr Priester hat dies jedenfalls pflichtschuldigst seinem Bischof gemailt. Aber keine Sorge, er weiß nicht, wer der edle Spender ist.
Ihre sexuellen Vorlieben haben wir schon angesprochen. Sie neigen zu leichtem Masochismus, deshalb auch Ihre regelmäßigen Besuche bei einer Domina. Ihre Frau weiß nichts von Ihren außerehelichen Eskapaden, die Gespräche
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