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Das Obama-Syndrom - leere Versprechungen, Krisen und Kriege

Das Obama-Syndrom - leere Versprechungen, Krisen und Kriege

Titel: Das Obama-Syndrom - leere Versprechungen, Krisen und Kriege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tariq Ali
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Vizepräsident Biden, als er sagte, er sorge sich mehr um Ägypten als um Libyen. Doch die Hauptsorge gilt Israel: Eine nicht mehr steuerbare demokratisch ge wählte Regierung Ägyptens könnte beschließen, den »Friedensvertrag« mit Israel neu zu verhandeln, dessen wichtigste Funktion darin bestand, Palästina und dessen Bewohner zu isolieren. Noch gelingt es Washington, den politischen Wandel in einen sorgfältig von oben orchestrierten Prozess zu pressen, der von Mubaraks Militärminister und Stabschef geleitet wird. Letzterer steht dem Pentagon sehr nahe. Die alten Köpfe des Regimes sitzen großteils noch an den Schalthebeln der Macht. Ihre zentrale Botschaft: das Land brauche Stabilität und eine Rückkehr zum Alltag, also Schluss mit den Streiks. Hinter den Kulissen verhandeln die USA fieberhaft mit der Muslimbruderschaft, um jede ernsthafte Veränderung der Beziehungen zu Israel zu verhindern. Die alte Verfassung gilt in leicht verbesserter Version weiter, eine Umwälzung nach dem Modell Südamerikas ist nicht in Sicht. Dort haben gewaltige Massenbewegungen neue politische Organisationen geschaffen, die an den Wahlurnen triumphieren und echte Sozialreformen durchsetzen. Was die arabische Welt angeht, muss Amerika also nicht bang sein. Zwar bleiben die Massen in Tunesien und Ägypten weiter ein Faktor, doch es fehlen die politischen Instrumente, um den Willen des Volkes auch politisch auszudrücken. Die erste Phase ist vorbei. Die zweite Phase hat begonnen, die der Restauration.
    Mit der gnadenlosen Bombardierung Libyens durch die NATO versuchte der Westen lediglich, die »demokratische« Initiative wieder zu erlangen, nachdem anderswo seine Diktatoren gestürzt worden waren. Die Lage im Land hat sich dadurch nur verschlimmert. Um ein angebliches Massaker zu verhindern, tötete die NATO Hunderte libysche Soldaten, von denen viele nur unter Zwang kämpften. So erlaubten sie dem grässlichen Gaddafi, sich als »Antiimperialist« zu gerieren. Doch auch mit dem Sturz Gaddafis verlor das libysche Volk, weil sich der Westen das Land mitsamt seinen Ölquellen unter den Nagel riss. So um Demokratie besorgt wie in Libyen war Amerika in der Region sonst nirgends. Im Fall Bahrains gaben die USA den Saudis ganz offenkundig grünes Licht für eine Militärintervention zur Rettung des örtlichen Despoten, zur Zerschlagung der Demokratiebewegung und zur Forcierung religiöser Zwistigkeiten. Demonstranten wurden in nichtöffentlichen Prozessen zum Tode verurteilt. Heute ist Bahrain ein Gefangenenlager, eine toxische Mischung aus Guantánamo und Saudi-Arabien. Gegen die schiitische Bevölkerungsmehrheit kommt es immer wieder zu Pogromen. In Syrien schießt der von Baath-Partei und Assad kontrollierte Sicherheitsapparat nach Belieben auf die Bevölkerung, ohne aber die Demokratiebewegung stoppen zu können. Die Opposition wird nicht von Islamisten kontrolliert, sondern ist eine breite Koalition aus allen Gesellschaftsschichten, nur die Kapitalisten sind dem Regime treu geblieben. Im Unterschied zu anderen arabischen Staaten blieben in Syrien viele Intellektuelle im Land, wo sie Folter und Gefängnis ertrugen. Der Untergrund in Damaskus oder Aleppo wird von säkularen Sozialisten wir Riad al-Turk und anderen organisiert. Niemand hofft auf eine militärische Intervention des Westens. Niemand will ein zweites Libyen. Israel und die USA hätten anfangs zwar nach dem Prinzip »Besser den Teufel, den man kennt« Assad gern im Amt behalten, sind aber inzwischen umgeschwenkt.
    Angesichts der großen strategischen Bedeutung, die meh rere aufeinanderfolgende US -Präsidenten der Region zu gemessen haben, scheint ein kurzer historischer Abriss der dortigen Kolonialgeschichte angemessen. Zum ersten Mal seit Mitte des 20. Jahrhunderts schwappte die Welle der Rebellion über Landesgrenzen hinweg und erfasste die gesamte Region von Tanger bis Teheran, was Erinnerungen an eine einheitliche arabische Welt weckte.
    Gleichzeitig liefen in allen betroffenen Ländern ganz eigene Prozesse ab. Um sie zu verstehen, muss man jedes Land einzeln betrachten und gleichzeitig im Auge behalten, wie sich die arabische Welt in die Weltordnung insgesamt fügt. Denn der Begriff »arabische Welt« bezieht sich nicht nur auf Gemeinsamkeiten in Kultur, Sprache und Religion (oder gar Ethnie, was in einer Region lachhaft wäre, in der auch Berber, Tuareg, Numider, Perser, Kurden und zahlreiche weitere Stämme leben). Er wurde auch durch die europäischen

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