Das Obama-Syndrom - leere Versprechungen, Krisen und Kriege
jedoch einen Boom, angeschoben von den steigenden Öleinnahmen in den 1970er-Jahren. Doch bis Mitte der 1980er waren die Ölpreise wieder eingebrochen und das Wachstum war versandet. Der Globalisierungsboom ging an der arabischen Welt vorbei. Bis Mitte der 1970er-Jahre erwirtschafteten Türkei und Ägypten bei vergleichbarer Bevölkerungszahl (ca. 80 Millionen) etwa das gleiche Bruttosozialprodukt. Anfang der 1990er-Jahre wuchs die türkische Wirtschaft dann aber vier Mal so schnell, seit 2001 setzte sie sich weit von der ägyptischen ab: 2008 lag Ägyptens Bruttosozialprodukt bei etwa 110 Mrd. Euro, das der Türkei bereits bei etwa 500 Mrd. Die Standardrezepte der Weltbank – Zollsenkungen, Privatisierungen, freie Kapitalbewegung, Strukturwandel von Landwirtschaft und industrieller Produktion hin zu Dienstleistungen, vor allem im Tourismus – kamen nur ein paar Insidern des Regimes zugute. Rasantes Bevölkerungswachstum ließ die Zahl der Menschen in der Region von 150 Millionen in den 1970ern auf heute über 300 Millionen anwachsen. Entsprechend jung sind die arabischen Gesellschaften, etwa 50 Prozent aller Menschen sind dort unter 25 Jahre alt, und entsprechend eng geht es zu in den Küstenstreifen, im Niltal und an den Flüssen der Levante.
In Tunesien entzündete sich der Aufstand eindeutig an sozialen Fragen. Er begann im Landesinneren, wo der Ärger über steigende Lebenshaltungskosten, hohe Arbeitslosigkeit und allgemeine Perspektivlosigkeit bereits brodelte. Der Funke, der buchstäblich die ganze Region in Brand steckte: Am 16. Dezember 2010 verbrannte sich der Obsthändler Mohamed Bouazizi nach Schikanen und Schutzgelderpressungen durch die Polizei öffentlich selbst. Sidi Bouzid, der Ort des Geschehens, ist ein Städtchen von vielleicht 30000 Einwohnern, das von der Restrukturierung nach Anlei tung der EU in den 1990er-Jahren abgehängt worden war. Die Wirtschaft war ganz auf die Küstenstreifen ausgerichtet worden, auf Tourismus und Bauindustrie, während die Landwirtschaft durch den Import subventionierten Weizens ruiniert wurde. Die einzige Form der sozialen Absicherung bestand aus einem guten System weiterführender Schulen. Die in den 1980ern geborene Altersgruppe erlebte das Ende des Booms, der mit Erlangung der Unabhängigkeit begonnen hatte. Und so wuchs eine Generation von Mohamed Bouazizis heran, mit Abitur, aber kaum Aussichten auf einen guten Job, mit dem man eine Familie ernähren könnte. Er war der dritte junge Mann, der sich 2010 selbst verbrannte.
Als die Proteste sich zwischen 19. Dezember 2010 und 5. Januar 2011 ausweiteten, kam es zu Zusammenstößen zwischen Jugendlichen und der Polizei. Massenverhaftungen fachten die Rebellion nur noch weiter an. Al-Dschasira, dessen Financier, der Emir von Katar, mit Ben Ali in Streit geraten war, berichtete ausführlich darüber. Bilder, wie die Polizei das Feuer auf Demonstranten in Kasserine eröffnete, trugen die Revolte, die bis dahin ein Arbeiteraufstand gewesen war, in die größeren Städte, wo sie politische Form annahm. Erst wurde die Absetzung des Innenministers ver langt, schließlich der Rücktritt der gesamten Regierung. Die nationale Gewerkschaft, die mit dem Regime kollaborierte, wurde von einer internen Revolte zum Kurswechsel gezwungen und rief schließlich am 11. Januar 2011 zum Generalstreik auf. Gleichzeitig erklärte der Generalstabschef, dass die Armee nicht auf das Volk schießen würde. Prompt wurde er von Ben Ali gefeuert. Ab 12. Januar demonstrierten Hunderttausende vor dem Innenministerium und riefen zum Regimesturz auf. Der öffentliche Zorn richtete sich auch gegen Symbole für den Reichtum der Familie Ben Alis – das sichtbare Ergebnis des von den Franzosen angestoßenen Privatisierungsprogramms. Die Armee schritt ein, sicherte wichtige Regierungsgebäude und – stellte sich der Präsidentengarde entgegen. Damit war der Konflikt ent schieden; am 14. Januar flohen Ben Ali und Familie nach Riad.
Die Armee Tunesiens hatte immer eine gewisse Distanz zum Regime bewahrt. Bei der Erlangung der Unabhängigkeit spielte sie kaum eine Rolle. Die erstritt Bourguibas mächtige Neo-Destour-Partei, die sowohl vom Groß- und Kleinbürgertum als auch von den Gewerkschaften unterstützt wurde. Frankreich gab die Kontrolle über Tunesien 1956 ab, um sich auf die Verteidigung seiner Besitzungen in Algerien konzentrieren zu können. Es kam nie zu Kampfhandlungen, der Bey wurde 1957 durch Parlamentsbeschluss abgesetzt. Das Militär
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