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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Hand zitterte, und ich sah, wie er die Lippen zusammenpresste.
    »Sie wissen, wer mir das angetan hat?«
    »Ja. Das Problem ist nur, dass Sie mit dem, was ich herausgefunden habe, nicht zur Polizei gehen können, um Anzeige zu erstatten, und vor Gericht würde es erst recht nicht genügen.«
    »Aber« – seine Tonlage war höher, seine Stimme gepresst – »Sie wissen es trotzdem? Sie wissen es und sind sich sicher?«
    »Ja. Ich bin mir absolut und vollkommen sicher. Es besteht nicht der geringste Zweifel. Aber, wie gesagt, ich kann Ihnen nicht die Art von Information bieten, mit der ein Cop etwas anzufangen weiß.«
    »Sagen Sie es mir.« Er sprach fast im Flüsterton, doch die Forderung war von erschreckender, archaischer Eindringlichkeit. »Wer hat mir das angetan?«
    Ich griff in meine Aktentasche und zog eine Kopie der Polizeifotos von Michael O’Connell heraus, die ich ihm reichte. Zwei Gründe, hatte Catherine zu mir gesagt. Und das hier war der zweite.
    »Das ist er?«
    »Ja.«
    »Wo ist er?«
    Ich reichte ihm noch ein Blatt. »Er sitzt im Gefängnis. Das hier ist die Adresse, seine Gefangenennummer, ein paar Einzelheiten zu der Haftstrafe, die er verbüßt, und das voraussichtliche Datum seiner ersten Anhörung wegen Haftentlassung. Bis dahin vergehen noch Jahre, aber besser, Sie haben es jetzt. Hier noch eine Telefonnummer, bei der weitere Informationen eingeholt werden können, falls gewünscht.«
    »Und Sie sind sich ganz sicher?«
    »Ja, hundert Prozent.«
    »Wieso sagen Sie mir das?«
    »Ich dachte, Sie haben ein Recht darauf.«
    »Und woher wissen Sie es?«
    »Bitte fragen Sie mich das nicht.«
    Er schwieg. Dann nickte er. »In Ordnung. Ich ahne es. Geht in Ordnung.«
    Will Goodwin betrachtete erst das Foto, dann das Blatt Papier.
    »Es ist hart da, in diesem Gefängnis, oder?«
    »Ja. Die machen ihm das Leben nicht leicht.«
    »Da drinnen kann einem so ziemlich alles passieren.«
    »Das ist richtig. Man kann für ein Päckchen Zigaretten umgebracht werden. Hat er mir selbst gesagt.«
    Er nickte. »Ja, kann ich mir vorstellen.«
    Einen Moment lang ging sein Blick an mir vorbei, dann fügte er hinzu: »Das ist etwas, worüber man nachdenken muss.«
    Ich trat zurück, um zu gehen, doch etwas hielt mich fest. Einen Moment lang war mir schwindelig, und meine Körpertemperatur schien steil nach oben zu klettern. Ich fragte mich, was ich gerade getan hatte.
    Ich sah, wie Will Goodwin kerzengerade dasaß und wie sich dieMuskeln an seinen Armen spannten. »Danke«, sagte er langsam, doch mit dem ganzen Gewicht der Grausamkeit, die er erlitten hatte. »Danke, dass Sie an mich gedacht haben, und danke, dass Sie mir das hier gegeben haben.«
    »Dann geh ich mal.« Doch was ich bei ihm zurückließ, würde nie mehr von mir weichen.
    »Nur noch eine Frage«, hielt er mich plötzlich zurück.
    »Sicher. Was denn?«
    »Wissen Sie, weshalb er das getan hat?«
    Ich holte tief Luft. »Ja.«
    Wieder verdüsterte sich sein Gesicht, und seine Unterlippe zuckte. »Und warum also?« Er brachte die Frage nur mühsam heraus. »Weil Sie das falsche Mädchen geküsst haben.«
    Er schwieg und stieß die Luft heraus, als hätte er einen Schlag auf die Lunge bekommen. Ich sah, wie meine Auskunft in ihm arbeitete. »Wegen eines Kusses …«
    »Ja, eines einzigen Kusses.«
    Er schien zu schwanken, als stürmten plötzlich ein Dutzend andere Fragen auf ihn ein, die er auch noch stellen wollte. Doch er tat es nicht. Stattdessen schüttelte er nur kaum merklich den Kopf. Ich sah jedoch, wie er mit der Hand das Rad seines Rollstuhls so fest packte, dass seine Fingerknöchel sich weiß verfärbten, und wie sich in seinem Innern die eisigste Wut anstaute, die ich je für möglich gehalten hätte.
     
    Der Zettel, den Catherine mir gegeben hatte, führte mich zu einer Straße vor einem großen Kunstmuseum in einer Stadt, die weder New York noch Boston war. Es war kurz nach fünf Uhr Nachmittag. Es herrschte reger Verkehr, und auf den Bürgersteigen strebten die Passanten nach Hause. Eben ging die Sonne hinter den Bürogebäuden unter, und es ertönten die Eröffnungstakte der großstädtischen Abendsymphonie. Ich hörte Autohupen, ächzendeBusmotoren und das Stimmengewirr von Leuten, die es eilig hatten. Ich stand auf der obersten Stufe einer ausladenden Treppe, und der Menschenstrom teilte sich um mich wie um einen Fels in der Brandung. Ich starrte geradeaus die breiten Stufen hinauf und glaubte im Grunde nicht, dass ich sie erkennen

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