Das Orakel des Todes
Matrone. Die Darstellung war so primitiv, dass sie aus einer Zeit stammen musste, in der die hiesigen Bewohner noch keine Bekanntschaft mit griechischer Bildhauerei gemacht hatten.
Der Priester, wenn es denn wirklich einer war, warf eine Hand voll Weihrauch ins Feuer, und wir wurden von duftendem Rauch eingehüllt. Iola deklamierte etwas, das sich wie ein Gebet in irgendeiner unverständlichen Sprache anhörte, auch wenn ich ein oder zwei marsische Worte aufzuschnappen meinte.
Circe schnappte nach Luft. „Die Göttin hat sich bewegt! „ „Es ist nur das flackernde Licht“, murmelte ich. Julia wandte sich zu mir um und funkelte mich wütend an.
„Die Göttin gewährt uns die Erlaubnis, uns der Styx zu nähern; wir dürfen sie anrufen und ihr Fragen stellen“, verkündete Iola schließlich feierlich.
Der Styx?, dachte ich. Wir hatten zwar einen weiten Weg zurückgelegt, aber so weit waren wir nun doch nicht gegangen.
Iola geleitete uns zu einem Seitengang, der noch einmal ein kurzes Stück hinabführte. Der Geruch nach schwefelhaltigem Wasser wurde intensiver und der Dunst noch dichter. Diesmal begleiteten uns die anderen Priester nicht. Plötzlich hörte man das Rauschen fließenden Wassers, und selbst meine versierte Abgebrühtheit und Skepsis ließen mich im Stich. Wir steuerten auf die Styx zu, und ich war eigentlich noch nicht bereit, den Fluss zu überqueren. Ich hatte nicht einmal eine Münze für den Fährmann unter der Zunge.
Schließlich kamen wir in eine Kammer voller Dampf, und direkt vor uns schoss ein reißender Wasserstrom vorbei, der im wahrsten Sinne des Wortes kochte, als wäre er unmittelbar vor dem Eintritt in diese Kammer durch den Glutofen des Vulcanus geflossen. Durch den dichten Nebel hindurch war die andere Seite des Flusses nicht zu erkennen, doch ich hatte den Eindruck, dass er nicht besonders breit war, was mich ein wenig erleichterte. Ich hatte immer gehört, dass die Styx ein breiter, gemächlich dahin fließender schwarzer Strom sei. Aber auch wenn dies nicht die Styx sein sollte, so war es doch auf jeden Fall etwas sehr Unheimliches.
Fast alle meine Begleiter schienen offenbar überzeugt, dass sie an dem Fluss standen, bei dem die Götter ihre unverbrüchlichen Eide schworen, aber ihr Verstand funktionierte anders als meiner. Mich verwirrte etwas ganz anderes, etwas, das mir mindestens ebenso unerklärlich erschien wie jede übernatürliche Erscheinung. Irgendjemand hatte diesen Tunnel vor langer, langer Zeit direkt hier herunter zu diesem unterirdischen Fluss getrieben, und zwar mit absoluter Gewissheit und ohne zu schwanken oder zu zweifeln, wo es langgehen musste. Ich hatte in dem gesamten Tunnel keinen einzigen Seitenschacht oder irgendwelche Erkundungsgrabungen gesehen, wie man sie in der Regel immer findet, wenn Minenarbeiter nach metallhaltigem Erz suchen. Wer immer den Tunnel gegraben hatte, er hatte genau gewusst, wie er verlaufen musste, und er hatte ihn so angelegt, dass der Eingang am Tag der Sommersonnenwende von der aufgehenden Sonne beschienen wurde.
Alle zuckten zusammen, als sich aus dem Fluss eine heisere, krächzende Stimme erhob.
„Wer sucht die Weisheit des Orakels?“ Ich hatte schon Raben mit wohlklingenderen Stimmen gehört.
„Ein römischer Praetor“, antwortete Iola. „Komm näher!“
„Wie bitte?“, entgegnete ich. „Ich bin doch schon da.“ „Praetor“, sagte Iola, „du musst das Wasser berühren.“ „Aber es kocht!“, wandte ich ein.
„Weisheit hat ihren Preis“, informierte sie mich.
„Geh schon!“, drängte meine reizende Frau. „Stell dich nicht so an.“ Hinter mir wurde gekichert. Zweifellos meine loyale Gefolgschaft.
Also ging ich wider besseres Wissen ans Ufer, bis ich mit den Zehenspitzen soeben das Wasser berührte. Zu meiner Überraschung war es trotz der brodelnden Strudel und schäumenden Blasen zwar recht warm, aber nicht kochend heiß. Beruhigt ging ich weiter, bis ich knöcheltief im Wasser stand. Der Grund war aus glattem Fels, es gab keine Spur von Sand oder Kies.
„Was wünscht der Praetor zu wissen?“, krächzte die Göttin oder wer oder was auch immer es war.
Am besten frage ich etwas Bedeutungsschweres, dachte ich. „Wie geht der gegenwärtige Streit zwischen Caesar und dem Senat aus?“ Das war die große Frage, die jedermann beschäftigte, und zugleich eine Quelle weit verbreiteter Furcht.
„Caesar ist zum Scheitern verdammt“, erwiderte Hekate unverblümt.
„Das ist klar und
Weitere Kostenlose Bücher