Das Orakel von Theran
und ein Wind kam auf, der den Sand diesseits der Yarl-Straße hochwirbelte und zu Wolken verdichtete. Auf der anderen Seite der Yarl-Straße herrschte fast Windstille. Es schien so, als hätten die Yarls nicht nur das Land zweigeteilt, sondern auch eine Grenze gezogen, an der sich das Wetter schied.
Mythor beschloss, die Yarl-Straße zu überqueren, falls der Sandsturm noch heftiger wurde. Vorerst begnügte er sich damit, einen Schal aus leichtem, aber dichtem Gewebe aus der Satteltasche zu holen und damit sein Gesicht zu verhüllen.
Hark war vorausgeeilt und in einer Sandwolke verschwunden. Da vernahm Mythor auf einmal sein Heulen, und er wusste, dass der Bitterwolf etwas entdeckt hatte, auf das er ihn aufmerksam machen wollte. Mythor veranlasste Pandor zu einer rascheren Gangart, bis Hark endlich aus den Sandwirbeln auftauchte.
»Quyl!« entfuhr es Mythor überrascht, als er erkannte, was Hark entdeckt hatte. Es war der Rückenpanzer eines Yarls, der quer über der Straße des Bösen lag. Obenauf sah man noch die Reste der Stadtaufbauten aus Holz.
Und Mythor erinnerte sich wieder. Manches aus der Vergangenheit war so wach in seiner Erinnerung, als habe er es erst gestern erlebt. Dazu gehörte auch dieser Zwischenfall, bei dem Churkuuhl einen Yarl verloren hatte. Schon einmal, auf dem Meer der Spinnen, war Mythor an dieses Ereignis erinnert worden, als er mit Nyala in Seenot geraten war und einen Yarl-Panzer auf dem Wasser treibend fand.
Jetzt lag der Panzer jenes Yarls vor ihm, der einst im Treibsand der Wüste eingesunken war und die Beute irgendeines Tieres wurde, das in der Tiefe lauerte. Der Yarl war damals bei lebendigem Leib aufgefressen worden, und als die Marn ihn mit Hilfe der anderen Tiere aus dem Treibsand zogen, war von ihm nur noch der Rückenpanzer übriggeblieben. Die überlebenden Marn wurden auf andere Yarls umgesiedelt, die Güter umgeladen. Das Tier, das den Yarl aufgefressen hatte, bekamen die Marn nicht zu Gesicht.
Mythor lenkte Pandor auf den Yarl-Panzer, der an dieser Stelle eine Brücke über die Straße des Bösen bildete. Das Einhorn fand auf den rissigen Hornplatten mit den Hufen guten Halt.
Hark heulte wieder. Mythor ritt zum Rand des Panzers, wo der Bitterwolf ihn erwartete. Und da sah Mythor einen riesigen Wurm mit einem vielfach untergliederten Körper. Der übergangslos mit dem Körper verbundene Kopf ragte steil aus dem wie schwarz glasierten Boden heraus, der lange, dicke Körper war in Schlangenlinien erstarrt. Am Kopfende befand sich ein riesiges Maul, das anstelle von Zähnen einen Borstenkranz hatte. Dieses Untier war längst tot und versteinert. Es mochte dasselbe Tier sein, das den Yarl aufgefressen hatte, aber das Fleisch seines Opfers war ihm offenbar nicht bekommen. Oder aber die Saat des Bösen war in diesen Riesenwurm gedrungen, hatte ihn getötet und vor Verwesung bewahrt.
Mythor ritt weiter. Er erreichte die östliche Seite der Straße des Bösen. Der Sandsturm ließ nach, die Sicht wurde wieder besser. Mythor nahm das Tuch vom Gesicht und legte sich den Umhang über die Schultern. Die Sonne tauchte hinter den Wolken nicht mehr auf, und es wurde merklich kälter. Bald würde es dämmern, und Mythor musste sich ein Lager für die Nacht suchen. Doch um ihn war nur Wüste, die im Osten bis zu den Ausläufern der Karsh-Berge reichte.
Im Hügelland würde er sicher einen geeigneten Lagerplatz finden und vielleicht auch Holz für ein Lagerfeuer. Aber so weit wollte er sich von der Straße des Bösen nicht entfernen, denn sie wies ihm die Richtung nicht nur zum Ort seines Ursprungs, sondern auch zum Orakel von The-ran.
Dieses wollte er unbedingt aufsuchen. Schon der Sterndeuter Thonensen hatte ihm dies auf Burg Anbur geraten. Und auch Luxon hatte ihm ja den Vorschlag unterbreitet, dieses Orakel darüber zu befragen, wer von ihnen beiden der Sohn des Kometen sei.
Er fand eine windgeschützte Senke, in der das Gerippe irgendeines Tieres lag. Über dieses spannte er seinen Umhang, befreite Pandor vom Königssattel und benutzte ihn als Kopfunterlage. Nachdem er sich hingelegt hatte, kam Hark und kuschelte sich an ihn. So wärmten sie sich gegenseitig mit ihren Körpern.
Mythor merkte erst jetzt, wie müde und hungrig er war; auch Durst machte ihm zu schaffen. Aber die Müdigkeit war stärker. Noch ehe sich das schwarze Tuch der Nacht völlig über die Wüste gesenkt hatte, war er eingeschlafen.
*
Hunger und Durst weckten ihn.
Die Sonne war noch nicht hinter den
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