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Das Paradies der Damen - 11

Das Paradies der Damen - 11

Titel: Das Paradies der Damen - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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plauderten am Stand für Seidenwaren zwei Angestellte. Der eine – er hieß Hutin –, ein kleiner, hübscher Bursche, kräftig gebaut und mit rosiger Gesichtsfarbe, war der Sohn eines Gastwirts aus Yvetot und hatte sich binnen achtzehn Monaten dank seiner anpassungsfähigen, einschmeichelnden Natur zu einem der ersten Verkäufer hochgearbeitet.
    »Hören Sie, Favier, ich an Ihrer Stelle hätte ihn geohrfeigt«, sagte er zu dem andern, einem großen, hageren, gallig aussehenden jungen Menschen, der aus einer Weberfamilie aus Besançon stammte und sich sehr korrekt gab, während sein kühles Äußeres eine besorgniserregende Willenskraft verbarg.
    »Das führt zu nichts, wenn man die Leute ohrfeigt«, brummte er. »Besser, man wartet.«
    Sie sprachen von Robineau, der die Angestellten zu beaufsichtigen hatte, wenn der Abteilungsleiter nicht da war. Hutin hetzte im stillen gegen den Zweiten, weil er selber nach dessen Stelle trachtete. Um ihn zu verletzen und hinauszuekeln, hatte er an dem Tag, als der Robineau versprochene Posten des Abteilungsleiters frei geworden war, Bouthemont ins Haus gebracht. Allein Robineau war zäh, und der Krieg riß nicht mehr ab. Hutin intrigierte mit liebenswürdiger Miene und stachelte insbesondere Favier auf, der als Rangnächster in der Reihe der Verkäufer sich scheinbar von ihm leiten ließ, während er in Wirklichkeit nur seine eigenen Interessen verfolgte.
    »Pst, siebzehn!« rief er jetzt seinem Kollegen zu. Dies war ihr Zeichen, wenn Mouret oder Bourdoncle sich näherten.
    Diese setzten in der Tat ihren Rundgang fort und kamen nun durch die Halle. Vor einem Stapel Samt, der sich auf einem der Tische türmte, blieben sie stehen und fragten Robineau, was das solle. Als dieser antwortete, er habe keinen Platz, rief Mouret:
    »Ich sage Ihnen doch, Bourdoncle, das Geschäft ist zu klein! Eines Tages werden wir alle Mauern bis zur Rue de Choiseul niederreißen müssen. Am nächsten Montag sollen Sie einen Ansturm zu sehen bekommen!«
    Sie sprachen weiter mit Robineau, doch gleichzeitig beobachtete Mouret Hutin, der sich damit abmühte, blaue, graue und gelbe Seide nebeneinander zu dekorieren, aber mit der Wirkung nicht recht zufrieden schien. Plötzlich trat Mouret dazwischen.
    »Warum wollen Sie denn das Auge schonen?« sagte er. »Keine Angst: blenden Sie es! Nehmen Sie Rot, Grün, Gelb!«
    Bei diesen Worten griff er in die Seidenstoffe und warf sie durcheinander, um erregende Farbkontraste zu erzielen. Alle stimmten darin überein, daß ihr Chef der beste Dekorateur von Paris sei, ein wahrhaft eigenwilliger Schöpfer und Reformer auf dem Gebiet der Schaufenstergestaltung. Mouret schwärmte für grellste Effekte, für unregelmäßig verteilte, bunt gemischte Mengen von Stoffen, als seien diese kaskadenförmig den Regalen und Fächern entquollen. Nur Hutin, der der klassischen Schule des Gleichmaßes und Farbenwohlklangs angehörte, sah ihm wortlos zu und begnügte sich damit, verächtlich die Lippen zu schürzen, wie ein Künstler, dessen Geschmack durch solche Roheiten verletzt wird.
    »Da haben Sie es!« rief Mouret, als er fertig war. »Lassen Sie die Anordnung so. Sie werden am Montag sehen, wie die Frauen anbeißen.«
    In diesem Augenblick erschien in der Mittelhalle ein weibliches Wesen, das ganz verblüfft vor der Dekoration stehenblieb. Es war Denise. Nachdem sie in ihrer unüberwindlichen Schüchternheit fast eine Stunde lang auf der Straße gezögert hatte, war sie endlich eingetreten. Allein sie war dermaßen verwirrt, daß sie die einfachsten Auskünfte nicht begriff. Vergebens zeigten ihr die Angestellten, bei denen sie sich stotternd nach Frau Aurélie erkundigte, die nach dem Zwischenstock führende Treppe; sie wandte sich nach links, wenn man sie nach rechts gewiesen hatte. So irrte sie schon seit zehn Minuten durch alle Abteilungen des Erdgeschosses inmitten der boshaften Neugierde oder der mürrischen Gleichgültigkeit der Verkäufer. Sie wäre am liebsten wieder davongelaufen und wurde doch zugleich durch ein Gefühl der Bewunderung zurückgehalten. Sie fühlte sich so klein, so verloren in diesem ungeheuren Warenhaus, und wenn sie an den finsteren, engen Laden des »Vieil Elbeuf« dachte, erschien ihr dieses Geschäft noch riesiger, in goldenes Licht getaucht, gleichsam eine Stadt für sich mit Plätzen, Denkmälern und Straßen, durch die sie niemals den Weg zu finden glaubte. Indessen hatte sie bisher noch nicht gewagt, weiter in die Seidenhalle vorzudringen,

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