Das Paradies der Damen - 11
die ihr mit ihrem hohen Glasdach und ihrem Prunk unheimlich war. Als sie endlich eintrat, um aus dem Bereich der spöttelnden Angestellten der Weißwarenabteilung zu kommen, stieß sie auf Mourets Dekoration. Trotz ihrer Angst erwachte plötzlich die Frau in ihr, ihre Wangen röteten sich, und sie betrachtete selbstvergessen diese Feuersbrunst an Stoffen, die Mouret da entfacht hatte.
»Sieh einer an«, flüsterte Hutin Favier ins Ohr, »das Gänschen von der Place Gaillon!«
Obgleich Mouret tat, als hörte er Bourdoncle und Robineau zu, war er im Grunde durch die Bewunderung dieses einfachen Mädchens sehr geschmeichelt. Denise blickte jetzt auf und geriet in noch größere Verlegenheit, als sie den jungen Mann wiedererkannte, den sie immer noch für einen Abteilungsleiter hielt. Sie bildete sich ein, daß er sie streng anblicke, und da sie in ihrer Verwirrung nicht wußte, wie sie wegkommen sollte, wandte sie sich noch einmal an den nächstbesten Angestellten, diesmal an Favier, und fragte:
»Bitte, wo finde ich Frau Aurélie?«
Favier, ungefällig, wie er war, begnügte sich damit, trocken zu antworten:
»Im Zwischenstock.«
Denise, die den vielen Männerblicken rasch entkommen wollte, dankte und wandte der Treppe abermals den Rücken, als Hutin, von seiner angeborenen Liebenswürdigkeit getrieben, ihr zu Hilfe kam.
»Nicht dorthin – hier herum, Fräulein.«
Er ging einige Schritte vor ihr her und brachte sie bis zum Fuß der Treppe, die sich an der linken Seite der Halle befand. Lächelnd verbeugte er sich und sagte:
»Oben wenden Sie sich links, und Sie befinden sich direkt vor der Konfektionsabteilung.«
Denise war von dieser einschmeichelnden Höflichkeit tief ergriffen. Es war ihr, als komme ihr jemand brüderlich zu Hilfe. Sie schaute Hutin an, und alles an ihm gefiel ihr: das hübsche Gesicht, die freundlichen Blicke, die ihr die Furcht nahmen, die Stimme, die tröstend und weich klang. Ihr Herz war von Dankbarkeit erfüllt.
»Sie sind zu gütig – Geben Sie sich weiter keine Mühe… Tausend Dank, mein Herr!«
Doch Hutin war schon zu Favier zurückgekehrt und flüsterte ihm zu:
»Ist das ein Knochengerüst!«
Oben befand sich das junge Mädchen sogleich in der Konfektionsabteilung, einem großen Raum, dessen Fenster auf die Rue de la Michodière gingen. Fünf oder sechs Verkäuferinnen in schwarzen Seidenkleidern, sehr kokett frisiert, waren unter lebhaftem Geplauder bei ihrer Arbeit. Nur eine von ihnen, eine große, hagere Person mit übermäßig langgezogenem Kopf, stand wie erschöpft an einen Schrank gelehnt.
»Wo finde ich Frau Aurélie?« fragte Denise abermals.
Die Verkäuferin betrachtete sie, ohne zu antworten, voll offenkundiger Mißachtung für ihren ärmlichen Aufzug. Dann wandte sie sich an eine ihrer Kolleginnen, ein kleines, auffallend blasses Mädchen, und fragte:
»Fräulein Marguerite, wissen Sie zufällig, wo die Direktrice ist?«
Die Angesprochene war damit beschäftigt, Umhänge nach der Größe zu ordnen, und nahm sich kaum die Mühe aufzublicken.
»Nein, Fräulein Claire, keine Ahnung«, meinte sie.
Es entstand ein kurzes Stillschweigen. Denise stand regungslos da, und niemand kümmerte sich um sie. Nach einer Weile faßte sie sich ein Herz und fragte:
»Glauben Sie, daß Frau Aurélie bald zurückkommt?«
Nun rief ihr die Zweite, eine magere, häßliche Frau, die sie bisher nicht bemerkt hatte, eine Witwe mit vorspringendem Kinn und strähnigen Haaren, von einem Schrank aus, wo sie die Preisschilder nachsah, zu:
»Warten Sie doch, wenn Sie durchaus mit Frau Aurélie persönlich sprechen müssen!«
Denise wartete also. Es standen wohl einige Sessel für die Kunden herum; da man sie aber nicht aufforderte, Platz zu nehmen, wagte sie nicht, sich zu setzen. Die Verkäuferinnen hatten offenbar eine neue Kollegin in ihr gewittert und musterten sie wie Leute, die am Mittagstisch sitzen und nicht zusammenrücken wollen, um für hungrig Hinzukommende Platz zu machen. Denise geriet immer mehr in Verlegenheit, sie ging mit kleinen Schritten auf und ab und trat endlich an ein Fenster, um sich etwas Haltung zu geben. Sie sah gerade auf den »Vieil Elbeuf«. Mit dem abbröckelnden Verputz der Fassade und den blinden Schaufenstern erschien er ihr so häßlich, so trübselig im Vergleich mit dem Luxus und dem Leben, die sie hier um sich fühlte, daß etwas wie Gewissensbisse ihr das Herz vollends zusammenschnürte.
»Haben Sie ihre Schuhe gesehen?« flüsterte hinter ihr
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