Das Parfum: die Geschichte eines Mörders
Regeln der Kunst! Bis heute Abend musst du im Besitz der Formel sein! Und er stürzte zurück an den Schreibtisch, holte Papier, Tinte und ein frisches Taschentuch heraus, legte sich alles zurecht und begann seine analytische Arbeit. Das geschah so, dass er das mit frischem Parfum getränkte Tuch rasch unter der Nase vorbeizog und aus der vorüberfliegenden Duftwolke den einen oder anderen Bestandteil aufzufangen suchte, ohne allzusehr von der komplexen Mischung aller Teile abgelenkt zu sein; um dann, während er das Taschentuch mit ausgestrecktem Arm weit von sich hielt, den Namen des gefundenen Bestandteils rasch zu notieren und hierauf neuerdings das Tuch an der Nase vorbeifliegen zu lassen, das nächste Duftfragment zu erhaschen und so fort...
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Er arbeitete zwei Stunden lang ununterbrochen. Und immer hektischer wurden seine Bewegungen, immer fahriger das Gekrakel seiner Feder auf dem Papier, immer höher die Dosen des Parfums, das er aus dem Flakon in sein Taschentuch schüttete und sich unter die Nase hielt.
Er roch jetzt kaum noch etwas, er war längst betäubt von den ätherischen Substanzen, die er einatmete, konnte nicht einmal mehr wiedererkennen, was er zu Beginn seines Probierens zweifelsfrei analysiert zu haben glaubte. Er wusste, dass es sinnlos war, weiterzuriechen. Er würde nie herausbekommen, woraus dieses neumodische Parfum zusammengesetzt war, heute schon überhaupt nicht mehr, aber auch morgen nicht, wenn sich seine Nase, so Gott wollte, wieder erholt haben würde. Er hatte dieses zersetzende Riechen nie gelernt. Es war ihm eine unselig widerwärtige Beschäftigung, einen Duft zu zerspalten; ein Ganzes, ein gut oder weniger gut Gefügtes, aufzuteilen in seine simplen Fragmente. Es interessierte ihn nicht. Er wollte nicht mehr.
Aber mechanisch fuhr seine Hand fort, mit jener tausendmal geübten zierlichen Bewegung das Spitzentaschentuch zu tränken, es zu schütteln und rasch am Gesicht vorbeizuwedeln, und mechanisch riss er bei jedem Vorüberflug eine Portion duftgetränkter Luft in sich hinein, um sie kunstgerecht verhalten ausströmen zu lassen. Bis ihn endlich seine eigene Nase von der Qual befreite, indem sie von innen her allergisch schwoll und sich wie mit einem wächsernen Pfropfen selbst verschloss. Jetzt konnte er gar nichts mehr riechen, kaum noch atmen. Wie von einem schweren Schnupfen zugelötet war die Nase, und in seinen Augenwinkeln sammelten sich kleine Tränen. Gott im Himmel sei Dank! Nun konnte er guten Gewissens ein Ende machen. Nun hatte er seine Pflicht getan, nach besten Kräften, nach allen Regeln der Kunst, und war, wie schon so oft, gescheitert. Ultra posse nemo obligatur. Feierabend. Morgen früh würde er zu Pelissier schicken um eine große Flasche «Amor und Psyche» und damit die spanische Haut für den Grafen Verhamont beduften, wie bestellt. Und danach würde er sein Köfferchen nehmen, mit den altmodischen Seifen, Sentbons, Pomaden und Sachets, und seine Runde machen durch die Salons greiser Herzoginnen. Und eines Tages würde die letzte greise Herzogin gestorben sein und damit seine letzte Kundin. Und dann würde er selbst ein Greis sein und würde sein Haus verkaufen müssen, an Pelissier oder an irgendeinen anderen dieser aufstrebenden Händler, vielleicht bekäme er noch ein paar tausend Livre dafür. Und würde ein, zwei Koffer packen und mit seiner alten Frau, wenn die bis dahin noch nicht tot war, nach Italien reisen. Und wenn er die Reise überlebte, würde er sich ein kleines Häuschen auf dem Lande bei Messina kaufen, wo es billig war. Und dort würde er sterben, Giuseppe Baldini, einst größter Parfumeur von Paris, in bitterster Armut, wann immer Gott es gefiel. Und so war es gut.
Er stöpselte den Flakon zu, legte die Feder aus der Hand und wischte sich ein letztes Mal mit dem getränkten Taschentuch über die Stirn. Er spürte die Kühle des verdunstenden Alkohols, sonst nichts mehr. Dann ging die Sonne unter.
Baldini erhob sich. Er öffnete die Jalousie, und sein Körper tauchte bis herab zu den Knien ins Abendlicht und glühte auf wie eine abgebrannte glosende Fackel. Er sah den tiefroten Saum der Sonne hinterm Louvre und das zartere Feuer auf den Schieferdächern der Stadt. Unter ihm der Fluss glänzte wie Gold , die Schiffe waren verschwunden. Und es kam wohl ein Wind auf, denn über die Wasserfläche fielen die Böen wie Schuppen, und es glitzerte da und dort und immer näher, als streue eine riesige Hand Millionen
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