Das Parfum: die Geschichte eines Mörders
impertinenten Holländer, mit denen man sich dann herumschlagen musste, was man sich überhaupt nicht leisten konnte. 300000 Livres kostet so ein Kriegsschiff gut und gerne, und versenkt ist es in fünf Minuten mit einem einzigen Kanonenschuss, auf Nimmerwiedersehn, bezahlt von unseren Steuern. Den zehnten Teil auf alle Einkünfte verlangt der Herr Finanzminister neuerdings, und das ist ruinös, auch wenn man diesen Teil nicht zahlt, denn schon die ganze Geisteshaltung ist verderblich.
Das Unglück des Menschen rührt daher, dass er nicht still in seinem Zimmer bleiben will, dort, wo er hingehört. Sagt Pascal. Aber Pascal war ein großer Mann gewesen, ein Frangipani des Geistes, ein Handwerker recht eigentlich, und ein solcher ist heute nicht mehr gefragt. Jetzt lesen sie aufwieglerische Bücher von Hugenotten oder Engländern. Oder sie schreiben Traktate oder sogenannte wissenschaftliche Großwerke, in denen sie alles und jedes in Frage stellen. Nichts mehr soll stimmen, alles soll jetzt plötzlich anders sein. In einem Glas Wassers sollen neuerdings ganz kleine Tierchen schwimmen, die man früher nicht gesehen hat; die Syphilis soll eine ganz normale Krankheit sein und keine Strafe Gottes mehr; Gott soll die Welt nicht an sieben Tagen erschaffen haben, sondern in Jahrmillionen, wenn er es überhaupt war; die Wilden sind Menschen wie wir; unsere Kinder erziehen wir falsch; und die Erde ist nicht mehr rund wie bisher, sondern oben und unten platt wie eine Melone - als ob es darauf ankäme! In jedem Bereich wird gefragt und gebohrt und geforscht und geschnüffelt und herumexperimentiert. Es genügt nicht mehr, dass man sagt, was ist und wie es ist - es muss jetzt alles noch bewiesen werden, am besten mit Zeugen und Zahlen und irgendwelchen lächerlichen Versuchen. Diese Diderots und d'Alemberts und Voltaires und Rousseaus und wie die Schreiberlinge alle hießen - sogar geistliche Herren sind darunter und Herren von Adel! -, sie haben es wahrhaft geschafft, ihre eigne perfide Ruhelosigkeit, die schiere Lust am Nichtzufriedensein und des um alles in der Welt Sich-nicht-begnügen-könnens, kurz: das grenzenlose Chaos, das in ihren Köpfen herrscht, auf die gesamte Gesellschaft auszudehnen!
Wo man hinsah, herrschte Hektik. Leute lasen Bücher, sogar Frauen. Priester hockten im Kaffeehaus. Und wenn die Polizei mal eingriff und einen dieser Oberschurken ins Gefängnis steckte, dann heulten die Verleger auf und reichten Petitionen ein, und höchste Herren und Damen machten ihren Einfluss geltend, bis man ihn nach ein paar Wochen wieder freisetzte oder ins Ausland ziehen ließ, wo er dann hemmungslos weiterpamphletisierte. In den Salons palaverte man nur noch über Kometenbahnen und Expeditionen, über Hebelkraft und Newton, über Kanalbau, Blutkreislauf und den Durchmesser des Erdballs.
Und selbst der König ließ sich irgendeinen neumodischen Unsinn vorführen, eine Art künstliches Gewitter namens Elektrizität: Im Angesicht des ganzen Hofes rieb ein Mensch an einer Flasche, und es funkte, und Seine Majestät, so hört man, zeigte sich tief beeindruckt. Unvorstellbar, dass sein Urgroßvater, der wahrhaft große Ludwig, unter dessen segensreicher Herrschaft Baldini lange Jahre noch das Glück hatte gelebt zu haben, eine so lächerliche Demonstration vor seinen Augen geduldet hätte! Aber das war der Geist der neuen Zeit, und böse würde alles enden!
Denn wenn man schon ungeniert und auf die frechste Art die Autorität von Gottes Kirche in Zweifel ziehen konnte; wenn man über die nicht minder gottgewollte Monarchie und die geheiligte Person des Königs sprach, als seien beide bloß variable Posten in einem ganzen Katalog von anderen Regierungsformen, die man nach Gusto auswählen könne; wenn man sich schließlich noch so weit verstieg, wie das geschah, Gott selbst, den Allmächtigen, Ihn Höchstpersönlich, als entbehrlich hinzustellen und allen Ernstes zu behaupten, es seien Ordnung, Sitte und das Glück auf Erden ohne Ihn zu denken, rein aus der eingeborenen Moralität und der Vernunft der Menschen selber... o Gott, o Gott! - dann allerdings brauchte man sich nicht zu wundern, wenn sich alles von oben nach unten kehrte und die Sitten verlotterten und die Menschheit das Strafgericht dessen, den sie verleugnete, auf sich herabzog. Böse wird es enden. Der große Komet von 1681, über den sie sich lustig gemacht haben, den sie als nichts als einen Haufen von Sternen bezeichnet haben, er war eben doch ein warnendes
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