Das Parfum: die Geschichte eines Mörders
Kerze vollständig. Dann, sehr allmählich, konnte er eine kleine Gestalt ausmachen, ein Kind oder einen halbwüchsigen Jungen, der etwas über dem Arm trug.
«Was willst du?»
«Ich komme von Maitre Grimal, ich bringe das Ziegenleder», sagte die Gestalt und trat näher und hielt Baldini den abgewinkelten Arm mit einigen übereinandergehängten Häuten entgegen. Im Lichtschein erkannte Baldini das Gesicht eines Jungen mit ängstlich lauernden Augen. Seine Haltung war geduckt. Es schien, als verstecke er sich hinter seinem vorgehaltenen Arm wie einer, der Schläge erwartet. Es war Grenouille.
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Das Ziegenleder für die spanische Haut! Baldini erinnerte sich. Er hatte die Häute vor ein paar Tagen bei Grimal bestellt, feinstes weichstes Waschleder für die Schreibunterlage des Grafen Verhamont, fünfzehn Franc das Stück. Aber jetzt brauchte er sie eigentlich nicht mehr, er konnte sich das Geld sparen. Andrerseits, wenn er den Jungen einfach zurückschickte...? Wer weiß - es könnte einen ungünstigen Eindruck machen, man würde vielleicht reden, Gerächte könnten entstehen: Baldini sei unzuverlässig geworden, Baldini bekomme keine Aufträge mehr, Baldini könne nicht mehr zahlen... und so etwas war nicht gut, nein, nein, denn so etwas drückte womöglich den Verkaufswert des Geschäfts. Es war besser, diese nutzlosen Ziegenhäute anzunehmen. Niemand brauchte zurUnzeit zu erfahren, dass Giuseppe Baldini sein Leben geändert hatte.
«Komm herein!»
Er ließ den Jungen eintreten, und sie gingen in den Laden hinüber, Baldini mit dem Leuchter voran, Grenouille mit seinen Häuten hinterdrein. Es war das erste Mal, dass Grenouille eine Parfumerie betrat, einen Ort, wo Gerüche nicht Beiwerk waren, sondern ganz unverblümt im Mittelpunkt des Interesses standen. Natürlich kannte er sämtliche Parfum - und Drogenhandlungen der Stadt, nächtelang war er vor den Auslagen gestanden, hatte seine Nase an die Spalten der Türen gedrückt. Er kannte sämtliche Düfte, die hier gehandelt wurden, und hatte sie in seinem Innern schon oft zu herrlichsten Parfums zusammengedacht. Es erwartete ihn also nichts Neues. Aber ebenso wie ein musikalisches Kind darauf brennt, ein Orchester aus der Nähe zu sehen oder einmal in der Kirche auf die Empore hinaufzusteigen, zum verborgenen Manual der Orgel, so brannte Grenouille darauf, eine Parfumerie von innen zu sehen, und er hatte, als er hörte, es solle Leder zu Baldini geliefert werden, alles daran gesetzt, diese Besorgung übernehmen zu dürfen.
Und nun stand er in Baldinis Laden, an dem Ort von Paris, an dem die größte Anzahl professioneller Düfte auf engstem Raum versammelt war. Viel sah er nicht im vorüberfliegenden Kerzenlicht, nur kurz den Schatten des Kontors mit der Waage, die beiden Reiher über dem Becken, einen Sessel für die Kunden, die dunklen Regale an den Wänden, das kurze Aufblinken von Messinggerät und weißen Etiketten auf Gläsern und Tiegeln; und er roch auch nicht mehr, als er schon von der Straße her gerochen hatte. Aber er spürte sofort den Ernst, der in diesen Räumen herrschte, fast möchte man sagen, den heiligen Ernst, wenn das Wort «heilig» für Grenouille irgendeine Bedeutung besessen hätte; den kalten Ernst spürte er, die handwerkliche Nüchternheit, den trockenen Geschäftssinn, die an jedem Möbel, an jedem Gerät, an den Bottichen und Flaschen und Töpfen klebten. Und während er hinter Baldini herging, in Baldinis Schatten, denn Baldini nahm sich nicht die Mühe, ihm zu leuchten, überkam ihn der Gedanke, dass er hierhergehöre und nirgendwo anders hin, dass er hier bleiben werde, dass er von hier die Welt aus den Angeln heben würde.
Dieser Gedanke war natürlich von geradezu grotesker Unbescheidenheit. Es gab nichts, aber schon wirklich rein gar nichts, was einen dahergelaufenen Gerbereihilfsarbeiter dubioser Abkunft, ohne Verbindung oder Protektion, ohne die geringste ständische Position, zu der Hoffnung berechtigte, in der renommiertesten Duftstoffhandlung von Paris Fuß zu fassen; um so weniger, als, wie wir wissen, die Auflösung des Geschäfts bereits beschlossene Sache war. Aber es handelte sich ja auch nicht um eine Hoffnung, die sich in Grenouilles unbescheidenen Gedanken ausdrückte, sondern um eine Gewissheit. Diesen Laden, so wusste er, würde er nur noch verlassen, um seine Kleider bei Grimal abzuholen, und dann nicht mehr. Der Zeck hatte Blut gewittert. Jahrelang war er still gewesen, in sich verkapselt,
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