Das Parfum: die Geschichte eines Mörders
ein Meer von Rosen, deren Duft die Stadt für einen ganzen Monat in einen cremigsüßen unsichtbaren Nebel tauchte. Grenouille arbeitete wie ein Pferd. Bescheiden, mit fast sklavenhafter Bereitschaft führte er all die untergeordneten Tätigkeiten aus, die Druot ihm auftrug. Aber während er scheinbar stumpfsinnig rührte, spachtelte, Bottiche wusch, die Werkstatt putzte oder Feuerholz schleppte, entging seiner Aufmerksamkeit nichts von den wesentlichen Dingen des Geschäfts, nichts von der Metamorphose der Düfte. Genauer als Druot es je vermocht hätte, mit seiner Nase nämlich, verfolgte und überwachte Grenouille die Wanderung der Düfte von den Blättern der Blüten über das Fett und den Alkohol bis in die köstlichen kleinen Flakons. Er roch, lange ehe Druot es bemerkte, wann sich das Fett zu stark erhitzte, er roch, wann die Blüte erschöpft, wann die Suppe mit Duft gesättigt war, er roch, was im Innern der Mischgefäße geschah und zu welchem präzisen Moment der Destillationsprozess beendet werden musste. Und gelegentlich gab er sich zu verstehen, freilich ganz unverbindlich und ohne seine unterwürfige Attitüde abzulegen. Ihm komme so vor, sagte er, als sei das Fett jetzt womöglich zu heiß geworden; er glaube fast, man könne demnächst abseihen; er habe es irgendwie im Gefühl, als sei der Alkohol im Alambic jetzt verdunstet... Und Druot, der zwar nicht gerade fabelhaft intelligent, aber auch nicht völlig dumpfköpfig war, bekam mit der Zeit heraus, dass er mit seinen Entscheidungen justament dann am besten fuhr, wenn er das tat oder anordnete, was Grenouille gerade «so glaubte» oder «irgendwie im Gefühl» hatte. Und da Grenouille niemals vorlaut oder besserwisserisch äußerte, was er glaubte oder im Gefühl hatte, und weil er niemals und vor allem niemals in Gegenwart von Madame Arnulfi - Druots Autorität und seine präponderante Stellung als des ersten Gesellen auch nur ironisch in Zweifel gezogen hätte, sah Druot keinen Anlass, Grenouilles Ratschlägen nicht zu folgen, ja, ihm sogar nicht mit der Zeit immer mehr Entscheidungen ganz offen zu überlassen.
Immer häufiger geschah es, dass Grenouille nicht mehr nur rührte, sondern zugleich auch beschickte, heizte und siebte, während Druot auf einen Sprung in die «Quatre Dauphins» verschwand, für ein Glas Wein, oder hinauf zu Madame, um dort nach dem Rechten zu sehn. Er wusste, dass er sich auf Grenouille verlassen konnte. Und Grenouille, obwohl er doppelte Arbeit verrichtete, genoss es, allein zu sein, sich in der neuen Kunst zu perfektionieren und gelegentlich kleine Experimente zu machen. Und mit diebischer Freude stellte er fest, dass die von ihm bereitete Pomade ungleich feiner, dass seine Essence Absolue um Grade reiner war als die gemeinsam mit Druot erzeugte.
Ende Juli begann die Zeit des Jasmins, im August die der Nachthyazinthe. Beide Blumen waren von so exquisitem und zugleich fragilem Parfum, dass ihre Blüten nicht nur vor Sonnenaufgang gepflückt werden mussten, sondern auch die speziellste, zarteste Verarbeitung erheischten. Wärme verminderte ihren Duft, das plötzliche Bad im heißen Mazerationsfett hätte ihn völlig zerstört. Diese edelsten aller Blüten ließen sich ihre Seele nicht einfach entreißen, man musste sie ihnen regelrecht abschmeicheln. In einem besonderen Beduftungsraum wurden sie auf mit kühlem Fett bestrichene Platten gestreut oder locker in ölgetränkte Tücher gehüllt und mussten sich langsam zu Tode schlafen. Erst nach drei oder vier Tagen waren sie verwelkt und hatten ihren Duft an das benachbarte Fett und Öl abgeatmet. Dann zupfte man sie vorsichtig ab und streute frische Blüten aus. Der Vorgang wurde wohl zehn, zwanzig Mal wiederholt, und bis sich die Pomade sattgesogen hatte und das duftende Öl aus den Tüchern abgepresst werden konnte, war es September geworden. Die Ausbeute war noch um ein Wesentliches geringer als bei der Mazeration. Die Qualität aber einer solchen durch kalte Enfleurage gewonnenen Jasminpaste oder eines Huile Antique de Tubereuse übertraf die jedes anderen Produkts der parfumistischen Kunst an Feinheit und Originaltreue. Namentlich beim Jasmin schien es, als habe sich der süßhaftende, erotische Duft der Blüte auf den Fettplatten wie in einem Spiegel abgebildet und strahle nun völlig naturgetreu zurück - cum grano sa l is freilich. Denn Grenouilles Nase erkannte selbstverständlich noch den Unterschied zwischen dem Geruch der Blüte und ihrem konservierten Duft:
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