Ermittler in Weiß - Tote sagen aus
Vorwort
Die Gerichtliche Medizin ist als eigenständiges Fach zwar relativ jung, gehört jedoch von der Aufgabenstellung her und in bezug auf ihre praktische Anwendung mit zu den ältesten Disziplinen der Medizin. So finden sich vereinzelte Andeutungen von der Benutzung ärztlicher Kenntnisse zu gerichtlichen Zwecken schon in vorchristlicher Zeit. Für das Entstehen spezifischer gerichtsmedizinischer Fragestellungen war aber neben der Entwicklung der Medizin auch ein gewisser Erkenntnisstand in den Rechtswissenschaften erforderlich. Wenn auch in den frühen germanischen Rechtsvorschriften schon einzelne Spuren gerichtsmedizinischer Fragestellungen zu finden sind, so nimmt das Gebiet der eigentlichen Gerichtlichen Medizin in Deutschland erst allmählich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Gestalt an. Voraussetzung für diese Entwicklung war die Einführung der Peinlichen Gerichtsordnung Karls V. (1532), der Carolina, in der die Fälle aufgeführt wurden, in denen die Untersuchung durch einen medizinischen Sachverständigen erforderlich war (z. B. Abtreibungen, Vergiftungen, tödliche Verletzungen, Selbstmord). In Deutschland spielten bei der Entwicklung der Gerichtlichen Medizin vor allem drei Leipziger Professoren eine große Rolle: Gottfried WELSCH (1618-1690), Johannes BOHN (1640-1718) und Paul AMMAM (1634-1691). Ihnen verdanken wir die ersten grundlegenden gerichtsmedizinischen Werke und auch konkrete Hinweise und Regeln für die Durchführung der gerichtsärztlichen Tätigkeit. In Italien war es vor allem der Leibarzt des Papstes Paul ZACCHIAS (1584-1659), der als Verfasser eines mehrbändigen Buches den gerichtsmedizinischen Wissensstand seiner Zeit darstellte und die italienische Gerichtsmedizin vorantrieb. Während in Deutschland die praktische gerichtsmedizinische Tätigkeit in den folgenden Jahrzehnten im Wesentlichen von den Kreis- bzw. Amtsärzten betrieben wurde, entwickelte sich in Italien und vor allem in Österreich die Gerichtliche Medizin an den Hochschulen im Rahmen der medizinischen Fakultäten. Eines der ältesten und bedeutendsten Institute für Gerichtliche Medizin ist das Wiener Institut, das zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden ist. In Berlin wurde Ende des 19. Jahrhunderts zusammen mit dem Leichenschauhaus ein entsprechendes Institut errichtet. In Leipzig wurde ebenfalls um 1900 ein eigenes Institut gegründet, obwohl schon seit dem 17. Jahrhundert Vorlesungen in diesem Fach gehalten wurden. An den anderen deutschen Universitäten entstanden vor allem in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts Gerichtsmedizinische Institute, nachdem seit 1923 die Gerichtliche Medizin Unterrichts- und Prüfungsfach im Medizinstudium geworden war. Diese Institute übernahmen dann auch neben der Lehre die praktische gerichtsmedizinische Tätigkeit und die Forschung zur Weiterentwicklung der gerichtsmedizinischen Erkenntnisse und Untersuchungsme- thoden. Neben der Aufklärung unklarer und nicht natürlicher Todesfälle ist die Untersuchung von Körperverletzungen, Vergiftungsfällen sowie biologischer Spuren wie Blut, Sperma, Mageninhalt, Urin, Kot, Haare, Schweiß etc. und später auch die Aufklärung unklarer und strittiger Abstammungsverhältnisse (Vaterschaftsuntersuchungen) eine wichtige Aufgabe der Gerichtlichen Medizin oder, wie sie heute genannt wird, der Rechtsmedizin. Alle Fragen aus dem Rechtsleben, die mit medizinischen und naturwissenschaftlichen Methoden beantwortet werden können, sind ihr Arbeitsgebiet. Wie der Rechtsmediziner bei seiner Arbeit vorgeht, welche Fragen er im Einzelnen bearbeitet und mit welchen Schwierigkeiten er zu kämpfen hat, soll im Folgenden an einer Reihe von Fällen aus meiner eigenen nahezu 40jährigen Tätigkeit in diesem Fach dargestellt werden. Es sind Fälle, die ich aus meiner Erinnerung heraus berichte und die aus Gründen des Persönlichkeits- und Geheimnisschutzes teilweise abgewandelt und ohne Namensnennung dargestellt werden. Sie haben sich aber tatsächlich ereignet, wenn auch möglicherweise an anderen Orten oder in einem anderen Zusammenhang. Es kam mir im Wesentlichen auf die Darlegung der Arbeitsweise des Gerichtsarztes an, aber auch die Belastungen, die diese Tätigkeit zwangsläufig durch die unmittelbare Berührung mit dem oder den Opfern mit sich bringt, soll sichtbar werden. Schließlich verdeutliche ich das Gefühl der Befriedigung, das den Rechtsmediziner erfüllt, wenn er dazu beigetragen hat, einen zunächst unklaren Fall
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