Das politisch korrekte Woerterbuch 2.0
eine gewisse „Nerdigkeit“ ist Forschung zwar möglich, aber sinnlos, und die Wissenschaft würde nicht existieren.
Fangen wir mit meinem persönlichen Liebling Leonardo da Vinci an. Ein begnadeter Naturwissenschaftler, Künstler und Ingenieur, sein Leben lang getrieben von einem unstillbaren Wissensdurst und kindlicher Neugier. Neben der Mona Lisa schuf er nicht nur den ersten programmierbaren Automaten der Welt sondern entwarf auch den ersten digitalen Computer (ob er ihn tatsächlich baute ist jedoch ungewiss). Wie die Flüssigkeitsdynamik in einem schlagenden Herzen aussieht, weiß man in der Neuzeit erst durch magnetresonanztomographische Untersuchungen. Dennoch finden sich entsprechende Darstellungen in da Vincis Aufzeichnungen. Wie konnte er das wissen? Er stellte das gläserne Modell eines Herzens her und durchströmte es mit Wasser, in das er Hirsesamen gemischt hatte. Somit konnte er die Verwirbelungen sehen und zeichnen, 500 Jahre, bevor der Biophysiker Morteza Gharib sie mittels modernster Technik darstellte [394] . Gharib stockte der Atem, als er da Vincis Zeichnungen sah. Wie kann man davon nicht begeistert sein?
Wer nicht „nerdig“ ist, kommt nicht auf die Idee, die „Unreal-Engine 3“ zu benutzen, um Studenten in einer Vorlesung ein in Echtzeit animierbares 20S Proteasom (eine sehr komplexe Protease) zeigen zu können, was ganz nebenbei eine vollkommen friedliche Anwendung eines Killerspiels ist. Natürlich kann man auch ganz langweilig PowerPoint und „Deep Exploration“ mit dem entsprechenden Plugin für diesen Zweck benutzen, dann kann man aber auch keine Raketen auf das Proteasom abfeuern. Wissenschaft besteht zu einem großen Teil aus Herumspielen um zu sehen, ob und wie etwas funktioniert. Nur so erlangt man neues Wissen, gerade wenn es um Dinge geht, die eben noch niemand weiß.
Wo wir gerade beim Proteasom sind: Aaron Ciechanover erhielt , zusammen mit Avram Hershko und Irwin Rose, im Jahre 2005 für die Entdeckung des Ubiquitin-Proteasom-Systems den Nobelpreis für Chemie. Das proteasomale System ist eine Erfindung der Natur, die man schon in den ältesten Bakterien, den Archebakterien, antrifft. Es ist praktisch in jedem Lebewesen vorhanden und seine Hauptaufgabe besteht darin, „kaputte“ Proteine zu erkennen und abzubauen, bevor diese Aggregate bilden und die Funktion der entsprechenden Zelle einschränken. Im Laufe der Evolution hat es jedoch noch viel mehr Aufgaben übernommen als die der zellulären „Müllabfuhr“. Es kann verschiedene Regulatorproteine binden, die seine Aktivität und Spezifität verändern, es kann sogar einwandfrei funktionierende Proteine abbauen, wenn diese zuvor durch ein komplexes System mit Ubiquitin (Ub) für den proteasomalen Abbau markiert wurden. Weiterhin gibt es deubiquitinierende Proteine (DUBs), die diesen biochemischen „kann-weg“-Zettel wieder entfernen. Mit beiden Systemen ist die Zelle in der Lage, ihren Proteinpool schnell und sehr präzise zu regulieren. Das proteasomale System ist praktisch an allem beteiligt, was in einer Zelle ablaufen kann, von der permanenten Regulation des vorliegenden Proteinpools über Immunantwort, Spermatogenese, DNA-Reparatur, Zellteilung bis hin zur Krebsentstehung. Die Forschung hat einige potente Proteasomhemmer hervorgebracht, die Krebszellen (vor allem beim multiplen Myelom) für oxidativen Stress anfälliger machen und mit etwas Glück dafür sorgen, dass bei der Chemotherapie die Krebszellen vor dem Patienten sterben. Wenn eine Zelle oxidativem Stress ausgesetzt wird, induziert ein Transkriptionsfaktor namens „NF-KappaB“ eine massive antioxidative Respons dieser Zelle. Normalerweise ist dieser Transkriptionsfaktor an ein Protein („IKappaB“) gebunden, das ihn inaktiviert. Wird IKappaB jedoch ubiquitiniert und vom Proteasom abgebaut, löst das die besagte antioxidative Respons aus. Hemmt man jedoch das Proteasom, so wird diese Respons unterdrückt und die Krebszellen sind für oxidativen Stress anfälliger als die normalen Körperzellen des Patienten. Krebsentstehung ist jedoch komplex und daher funktioniert diese Strategie nur bei wenigen Krebsarten und auch das leider nicht immer. Wenn in der Presse mal wieder von einem „Krebs Heilmittel“ die Rede ist, dann ist damit eher eine Therapie gegen eine ganz spezielle Krebsart gemeint, die ein wenig besser funktioniert als der bisherige Goldstandard.
In einigen Jahren kann es sogar möglich sein, das proteasomale System wie einen Pitbull
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