Das Rad der Zeit 10. Das Original: Zwielichtige Pfade (German Edition)
zog den Umhang enger und schaute der näher kommenden Stadt entgegen.
Als die gewaltige Mauer des Nordhafens vor dem Boot in die Höhe ragte, bremsten die Ruderer, sodass der Bug gerade eben an der Mauer neben der Hafeneinfahrt vorbeiglitt. Egwene hätte beinahe eine Hand ausgestreckt, um sich gegen den hellen Stein zu stemmen, bevor das Boot gegen die Mauer prallen konnte. Der dumpfe Aufprall wäre mit Sicherheit von den wachhabenden Soldaten gehört worden. Aber die Ruder machten nur leise gurgelnde Geräusche, als sie rückwärts durchgezogen wurden, das Boot hielt an einer Stelle an, wo sie die massive Eisenkette hätte berühren können, die den Hafen versperrte und deren riesige Glieder durch die dicke Schicht an Schmiere glänzten.
Aber es war nicht nötig, sie anzufassen. Genauso wenig wie es nötig war, zu warten. Sie umarmte Saidar und war sich kaum des reißenden Stroms des Lebens bewusst, der sie erfüllte, bevor sie die Gewebe fertiggestellt hatte. Erde, Feuer und Luft umgaben die Kette; Erde und Feuer berührten sie. Das schwarze Eisen blitzte entlang der ganzen Hafeneinfahrt weiß auf.
Egwene blieb gerade noch genug Zeit, um zu bemerken, dass nicht weit von ihr jemand die Quelle umarmt hatte, über ihr auf der Mauer, dann traf auch schon etwas das Boot, traf sie, und sie spürte nur noch, wie das kalte Wasser sie umfasste und ihre Nase und ihren Mund füllte. Dunkelheit.
Egwene fühlte etwas Hartes unter ihrem Körper. Sie hörte Frauenstimmen. Aufgeregte Stimmen.
»Wisst ihr, wer das ist?«
»Schau an, schau an. Da haben wir heute Nacht aber etwas Besseres bekommen, als wir ausgehandelt hatten.«
Etwas wurde ihr gegen den Mund gepresst, Wärme tröpfelte hinein, die leicht nach Minze schmeckte. Sie schluckte krampfhaft, sich plötzlich bewusst, wie kalt ihr war und dass sie am ganzen Leib zitterte. Ihre Augen öffneten sich blinzelnd. Und richteten sich auf das Gesicht der Frau, die ihren Kopf und den Becher hielt. Von Soldaten erhobene Laternen sorgten für genug Licht, dass sie das Gesicht deutlich sehen konnte. Ein altersloses Gesicht. Sie war im Nordhafen.
»So ist es recht, Mädchen«, sagte die Aes Sedai aufmunternd. »Trink alles. Es ist eine starke Dosis.«
Egwene wollte den Becher fortstoßen, wollte Saidar umarmen, aber sie fühlte nur, wie sie tiefer in der Dunkelheit versank. Sie hatten auf sie gewartet. Sie war verraten worden. Aber von wem?
EPILOG
Eine Antwort
R and starrte aus dem Fenster auf den Regen, der stetig aus dem grauen Himmel fiel. Ein weiterer Sturm, der vom Rückgrat der Welt kam. Der Drachenmauer. Der Frühling musste bald kommen. Irgendwann kam der Frühling immer. Hier in Tear früher als zu Hause, jedenfalls normalerweise, obwohl davon wenig zu bemerken war. Blitze gabelten sich silberblau am Himmel, und lange Augenblicke vergingen, bevor der Donner kam. Blitze in der Ferne. Die Wunden in seiner Seite schmerzten. Beim Licht, die Reiher, die in seine Handflächen eingebrannt waren, schmerzten, und das nach dieser langen Zeit.
Manchmal ist Schmerz das Einzige, das einen wissen lässt, dass man noch lebt, flüsterte Lews Therin, aber Rand ignorierte die Stimme in seinem Kopf.
Hinter ihm öffnete sich quietschend die Tür, und er sah über die Schulter zu dem Mann, der das Wohnzimmer betrat. Bashere trug einen kurzen, grauen Seidenmantel, einen prächtig glänzenden Mantel, und er trug den Stab des Generalmarschalls von Saldaea, ein Stab aus Elfenbein mit einem goldenen Wolfsschädel, der neben seinem in einer Scheide steckenden Schwert aus dem Gürtel ragte. Die Stiefel mit den heruntergeschlagenen Schäften waren geputzt worden, bis sie glänzten. Rand bemühte sich, seine Erleichterung nicht zu zeigen. Sie waren lange genug weg gewesen.
»Und?«, sagte er.
»Die Seanchaner sind nicht abgeneigt«, erwiderte Bashere. »Verrückt wie die Märzhasen, aber nicht abgeneigt. Aber sie verlangen ein Treffen mit Euch persönlich. Der Generalmarschall von Saldaea ist nicht der Wiedergeborene Drache.«
»Mit dieser Lady Suroth?«
Bashere schüttelte den Kopf. »Anscheinend ist ein Mitglied der Kaiserlichen Familie eingetroffen. Suroth will, dass Ihr jemanden mit dem Titel Tochter der Neun Monde trefft.«
Und wieder rollte der Donner ferner Blitze über das Land.
Wir ritten auf den Winden des tobenden Sturms,
wir liefen im Hall des Donners.
Wir tanzten im Blitzschlag,
und rissen die Welt entzwei.
– Anonymes Gedichtfragment, das angeblich gegen Ende des
Weitere Kostenlose Bücher