Das Rad der Zeit 10. Das Original: Zwielichtige Pfade (German Edition)
Aufgenommenen machten Knickse, sobald sie sahen, dass die Röcke unter ihrem Umhang keinen weißen Streifen aufwiesen, und die Aes Sedai rauschten mit von Kapuzen verhüllten Gesichtern vorbei. Falls jemandem auffiel, dass ihr kein Behüter folgte, nun, einige Schwestern hatten keinen Behüter. Und nicht jede wurde vom glühenden Schein Saidars eingehüllt. Nur die meisten.
Zwei Straßen von ihrem Zelt entfernt blieb sie am Rand des Gehsteigs stehen und wandte sich vom Strom der vorbeieilenden Frauen ab. Sie versuchte sich keine Sorgen zu machen. Die Sonne stand auf dem halben Weg zum Horizont im Westen, eine goldene Scheibe, die vom zerklüfteten Gipfel des Drachenbergs aufgespießt wurde. Der Schatten des Berges fiel bereits über das Lager und hüllte die Zelte in abendliches Dämmerlicht.
Endlich kam Siuan auf Bela angeritten. Die zottelige kleine Stute ging sicher auf der glatten Straße, aber Siuan klammerte sich an Zügeln und Sattel fest, als hätte sie Angst herunterzufallen. Vielleicht war es ja tatsächlich so. Siuan war eine der schlechtesten Reiterinnen, die Egwene jemals gesehen hatte. Als sie mit wehenden Röcken und gemurmelten Flüchen aus dem Sattel rutschte, erschien sie so erleichtert, als wäre sie gerade mit dem Leben davongekommen. Bela wieherte, als sie Egwene erkannte. Siuan richtete ihre verrutschte Kapuze und öffnete den Mund, aber Egwene hielt eine warnende Hand hoch, bevor sie sprechen konnte. Sie konnte sehen, wie Siuans Lippen das Wort »Mutter« formten. Und vermutlich wäre es laut genug gewesen, um auch noch in fünfzig Schritten Entfernung gehört zu werden.
»Sagt keinem etwas«, flüsterte Egwene. »Und auch keine Notizen oder Andeutungen.« Das sollte alles abdecken. »Leistet Chesa Gesellschaft, bis ich zurückkehre. Ich will nicht, dass sie sich Sorgen macht.«
Siuan nicke zögernd. Ihre Miene erschien beinahe mürrisch. Egwene vermutete, dass es klug gewesen war, »Notizen« und »Andeutungen« hinzuzufügen. Sie ließ die ehemalige Amyrlin wie ein mürrisches Mädchen dreinschauen und schwang sich anmutig in Belas Sattel.
Aufgrund der gefrorenen Rillen in den Lagerstraßen musste sie die Stute erst im Schritt gehen lassen. Und weil sich jeder wundern würde, wenn er Siuan schneller als im Schritttempo auf Bela reiten sah. Sie versuchte wie Siuan zu reiten, schwankte unsicher hin und her, klammerte sich mit einer Hand am hohen Sattelknauf fest und manchmal auch mit beiden. Es gab ihr das Gefühl, als würde auch sie gleich herunterfallen. Bela verdrehte den Kopf, um sie anzusehen. Sie wusste, wer auf ihrem Rücken saß, und sie wusste, dass Egwene besser reiten konnte. Egwene ahmte weiterhin Siuan nach und versuchte nicht an den Sonnenstand zu denken. Den ganzen Weg aus dem Lager hinaus, an den Wagen vorbei, bis die ersten Bäume sie vor den Zelten und Wagen verbargen.
Dann beugte sie sich über den Sattelknauf, um ihr Gesicht in Belas Mähne zu drücken. »Du hast mich von den Zwei Flüssen fortgetragen«, flüsterte sie. »Kannst du jetzt genauso schnell laufen?« Sie richtete sich wieder auf und stieß die Fersen in Belas Flanken.
Bela konnte nicht so galoppieren wie Daishar, aber ihre kräftigen Beine stapften durch den Schnee. Sie war einst ein Zugpferd gewesen, kein Rennpferd oder Streitross, aber sie gab alles, was sie hatte, und streckte den Hals genauso mutig wie Daishar nach vorn. Bela rannte, und die Sonne glitt am Himmel in die Tiefe, als wäre sie plötzlich eingeschmiert worden. Egwene duckte sich tief in den Sattel und feuerte das Pferd an. Ein Rennen mit der Sonne, von dem Egwene wusste, dass sie es nicht gewinnen konnte. Aber selbst wenn sie die Sonne nicht schlagen konnte, war trotzdem noch genug Zeit. Sie stieß im Rhythmus mit Belas Hufen mit den Fersen, und Bela lief.
Bevor Egwene das Wasser des Erinin funkeln sah, rollte das Zwielicht über sie hinweg, gefolgt von der Dunkelheit und dem aufgehenden Mond. Noch war Zeit. Es handelte sich annähernd um die Stelle, an der sie auf Daishar neben Gareth gestanden und zugesehen hatte, wie die Flussschiffe sich auf Tar Valon zubewegten. Sie zügelte Bela und lauschte.
Stille. Und dann ein unterdrückter Fluch. Das leise Grunzen von Männern, die eine schwere Last über den Schnee zerrten und dabei leise zu sein versuchten. Sie lenkte Bela an den Bäumen vorbei auf die Laute zu. Schatten bewegten sich, und sie hörte das leise Flüstern von Stahl, der aus Scheiden glitt.
Dann murmelte ein Mann nicht
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