Das Rad der Zeit 12. Das Original: Sturm der Finsternis (German Edition)
Albträume denken.« Er erschauderte, dann ging er zum Tisch und goss sich eine Tasse Tee ein.
»Wir wissen nicht, was nachts geschieht«, sagte er und rührte einen Teelöffel Honig hinein.
»Ihr wisst es nicht?«, hakte Mat nach. »Ich kann Euch verdammt noch mal genau beschreiben, was nachts passiert. Ihr …«
»Wir wissen nicht , was passiert«, unterbrach ihn der Bürgermeister. »Und wir wollen es auch nicht wissen.«
»Aber …«
»Wir müssen es nicht wissen, Fremder«, sagte der Bürgermeister grob. »Wir wollen unser Leben leben, so gut es geht. Viele von uns gehen früh zu Bett, lange vor Sonnenuntergang. Auf diese Weise hat keiner Erinnerungslücken. Wir gehen zu Bett, wir wachen im selben Bett auf. Es gibt Albträume, vielleicht ein paar Beschädigungen im Haus, aber nichts, das sich nicht richten ließe. Andere ziehen es vor, in die Schenke zu gehen und bis zum Sonnenuntergang zu trinken. Vermutlich ist das sogar ein Segen. Man kann so viel trinken, wie man will, und man muss sich keine Sorgen machen, wie man nach Hause kommt. Man wacht immer gemütlich in seinem Bett auf.«
»Ihr könnt das nicht völlig verdrängen«, meinte Thom leise. »Ihr könnt nicht so tun, als wäre da nichts geschehen.«
»Das tun wir auch nicht.« Barlden trank einen Schluck. »Wir haben die Regeln. Regeln, die ihr ignoriert habt. Nach Sonnenuntergang wird kein Feuer angezündet – wir können nicht zulassen, dass es in der Nacht zu einem Brand kommen könnte, nicht, wenn es keiner bekämpfen kann. Und wir lassen keine Fremden nach Sonnenuntergang ins Dorf. Diese Lektion haben wir schnell gelernt. Die ersten Leute, die nach Einbruch der Nacht hiergeblieben sind, waren Angehörige von Sammrie, dem Küfer. Am nächsten Morgen fanden wir Blut an den Wänden seines Hauses. Aber seine Schwester und ihre Familie schliefen unbeschadet in den Betten, die er ihnen zur Verfügung gestellt hatte.« Der Bürgermeister hielt inne. »Jetzt haben sie die gleichen Albträume wie wir.«
»Dann geht doch einfach«, schlug Mat vor. »Verlasst diesen verdammten Ort und zieht anderswohin!«
»Das haben wir versucht. Wir wachen immer wieder hier auf, ganz egal, wie weit wir gegangen sind. Ein paar haben versucht, sich das Leben zu nehmen. Wir haben sie begraben. Am nächsten Morgen wachen sie wieder in ihren Betten auf.«
Schweigen kehrte ein.
»Blut und verdammte Asche«, flüsterte Mat. Ihm war kalt.
»Ihr habt die Nacht überlebt«, sagte der Bürgermeister und rührte wieder seinen Tee um. »Nachdem ich die Blutflecken sah, dachte ich schon, dass es nicht der Fall wäre. Wir waren neugierig, wo ihr aufwachen würdet. Die meisten Zimmer in den Gasthäusern sind jetzt an Reisende dauervermietet, die nun notgedrungen ein Teil unserer Dorfgemeinschaft geworden sind. Wir können uns nicht aussuchen, wo jemand aufwacht. Es passiert einfach. Ein leeres Bett bekommt einen neuen Besitzer, und von da an wachen sie jeden Morgen dort auf.
Aber wie dem auch sei, als ich hörte, wie Ihr darüber gesprochen habt, was Ihr saht, begriff ich, dass Euch die Flucht gelungen sein musste. Ihr habt Euch zu genau an die Nacht erinnert. Alle anderen, die sich uns … anschließen, kennen bloß die Albträume. Ihr könnt Euch glücklich schätzen. Ich schlage vor, Ihr reist weiter und vergesst Hinderstap.«
»Bei uns sind Aes Sedai«, sagte Thom. »Sie könnten Euch vielleicht helfen. Wir könnten es der Weißen Burg mitteilen, sie schicken …«
»Nein!«, sagte Barlden scharf. »Unser Leben ist gar nicht so schlecht, jetzt, wo wir wissen, wie wir mit der Situation umgehen müssen. Wir wollen keine Aes Sedai, die sich einmischen.« Er wandte sich ab. »Eigentlich hatten wir Eurer Gruppe den Zutritt verweigern wollen. Manchmal machen wir das, wenn wir den Eindruck haben, dass sich die Reisenden nicht an unsere Regeln halten werden. Aber Ihr hattet ja die Aes Sedai dabei. Sie stellen Fragen, sie werden neugierig. Wir hatten Angst, dass sie misstrauisch werden und sich den Zutritt erzwingen würden, sollten wir Euch den Zutritt verweigern.«
»Sie zur Abreise bei Sonnenuntergang zu zwingen hat sie nur noch neugieriger gemacht«, meinte Mat. »Und dass ihre Bademägde verdammt noch mal versucht haben, sie umzubringen , ist auch keine gute Methode, das Geheimnis zu bewahren.«
Der Bürgermeister sah blass aus. »Ein paar von uns hatten den Wunsch … dass Ihr hier gefangen bleibt. Sie dachten, wenn die Aes Sedai hier festsitzen, werden sie für uns
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