Das Rad der Zeit 12. Das Original: Sturm der Finsternis (German Edition)
stolz auf seinem schwarzen Pferd; seine Kleidung passte im Farbton und wies nur dezente rote Stickereien auf. Wie gewöhnlich war er von einem Haufen Soldaten, Berater und einer wachsenden Zahl domanischer Speichellecker umgeben.
Cadsuane hatte den Eindruck, dass sie ihm immer häufiger auf den Straßen begegnete. Mühsam zwang sie sich, dort stehen zu bleiben und nicht in eine Gasse zu huschen, aber sie zog die Kapuze ein Stück tiefer, damit ihr Gesicht im Schatten lag. Al’Thor ließ sich nicht anmerken, ob er sie erkannt hatte, als er direkt an ihr vorbeiritt. Wie so oft schien er völlig in seine Gedanken versunken zu sein. Cadsuane wollte ihm zurufen, er solle schneller handeln, sich die Krone von Arad Doman sichern und weiterreisen, aber sie hielt den Mund. Sie würde ihr beinahe dreihundert Jahre währendes Leben nicht durch die Hinrichtung durch den Wiedergeborenen Drachen beenden lassen!
Sein Gefolge zog vorbei. Als sie sich abwandte, glaubte sie wie zuvor im Augenwinkel eine Dunkelheit um ihn herum zu sehen, als würden die Wolken am Himmel zu viel Schatten spenden. Sah sie ihn direkt an, verschwand sie – tatsächlich konnte sie sie nicht erkennen, wenn sie bewusst danach Ausschau hielt. Sie erschien immer nur dann, wenn sie ihn indirekt wahrnahm, und dann auch nur zufällig.
In ihren vielen Jahren hatte Cadsuane noch nie zuvor so etwas gehört oder davon gelesen. Es bei dem Wiedergeborenen Drachen zu sehen machte ihr Angst. Diese Angelegenheit war größer als ihr Stolz geworden, auch viel größer als ihr Scheitern. Nein. Diese Angelegenheit war immer größer als sie selbst gewesen. Al’Thor zu führen hatte nie Ähnlichkeit damit gehabt, ein galoppierendes Pferd zu lenken, es war wie der Versuch, einen Sturm auf dem Ozean zu lenken!
Cadsuane würde es nie schaffen, seinen Kurs zu ändern. Er vertraute den Aes Sedai nicht, und das aus gutem Grund. Er schien niemandem zu vertrauen, ausgenommen vielleicht Min – aber Min hatte jedem ihrer Versuche widerstanden, sie mit einzubeziehen. Das Mädchen war beinahe genauso schlimm wie al’Thor.
Ein Besuch der Docks war sinnlos. Die Unterhaltung mit ihren Informanten war sinnlos. Wenn sie nicht bald etwas unternahm, waren sie alle zum Untergang verurteilt. Aber was? Sie lehnte sich gegen das Gebäude; über ihr flatterten dreieckige Banner und zeigten nach Norden. Zur Fäule und al’Thors Schicksal.
Da kam ihr eine Idee. Sie ergriff sie wie eine Ertrinkende in stürmischer See. Sie konnte nicht sagen, was damit alles verbunden sein mochte, aber es war ihre einzige Hoffnung.
Cadsuane fuhr auf dem Absatz herum und eilte in die Richtung zurück, aus der sie gekommen war. Den Kopf hielt sie gesenkt und wagte es kaum, an ihren Plan zu denken. Er konnte so leicht scheitern. Falls al’Thor tatsächlich so sehr von seiner Wut dominiert wurde, wie sie befürchtete, dann würde ihm auch das nicht helfen.
Aber wenn er wirklich schon so weit war, dann würde ihm gar nichts mehr helfen. Das bedeutete, dass sie nichts zu verlieren hatte. Nichts als die Welt selbst.
Sie bahnte sich einen Weg durch die Massen und lief gelegentlich über die schlammige Straße, um sie zu umgehen, und schließlich erreichte sie das Herrenhaus. Aiel hatten das Lager von Dobraines Waffenmännern übernommen. Allerdings kampierten sie überall, auf dem Gelände oder in einem Flügel des Gebäudes, andere auch in benachbarten Häusern.
Cadsuane begab sich in den Flügel, der den Aiel gehörte, und keiner hielt sie auf. Sie genoss bei den Aiel Privilegien, die keine der anderen Schwestern hatte. Sorilea und die anderen Weisen Frauen hielten gerade in einer der Bibliotheken eine Besprechung ab. Natürlich saßen sie auf dem Boden. Sorilea nickte Cadsuane bei ihrem Eintreten zu. Sie bestand nur aus ledriger Haut und Knochen, aber keiner hätte sie als hinfällig bezeichnet. Nicht mit diesen Augen, die aus einem Gesicht blickten, das zu jung für ihr Alter war, obwohl Wind und Sonne ihm ihren Tribut abgefordert hatten. Wieso nur konnten die Weisen Frauen so lange leben, ohne die Alterslosigkeit der Aes Sedai zu erringen? Noch eine Frage, auf die Cadsuane noch keine Antwort gefunden hatte.
Sie schlug die Kapuze zurück und gesellte sich auf den Boden zu den Weisen Frauen und verzichtete sogar auf ein Kissen. Sie sah Sorilea in die Augen. »Ich habe versagt«, erklärte sie.
Die Weise Frau nickte, als hätte sie das Gleiche gedacht. Cadsuane zwang sich, sich ihren Ärger nicht anmerken
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