Das Rad der Zeit 12. Das Original: Sturm der Finsternis (German Edition)
nicht richtig, einen Mann des Königs auf diese Weise zum Befrager zu schicken. Vor allem nicht diesen Mann. Eine echte Schande, ein so schönes Gesicht zu verunstalten.«
»Wisst Ihr, wo der Kerker und der Befrager sind?«
Loral zögerte, dann nickte sie widerstrebend. Gut. Dann hatte sie nicht vor, Informationen zurückzuhalten.
»Dann lasst uns gehen«, sagte Nynaeve und stand auf.
»Meine Lady?«
»Zum Kerker. Ich nehme nicht an, dass er irgendwo auf dem Gelände ist, nicht, wenn Milisair Chadmar so vorsichtig war, wie ich glaube.«
»Er ist ein Stück entfernt, in Möwenfest«, sagte Loral. »Ihr wollt heute Nacht dahin?«
»Ja«, sagte Nynaeve, dann zögerte sie. »Es sei denn, ich entscheide mich, den Befrager bei sich zu Hause zu besuchen.«
»Es ist derselbe Ort, meine Lady.«
»Ausgezeichnet. Kommt.«
Loral blieb keine Wahl. Nynaeve erlaubte ihr, in ihr Zimmer zurückzukehren und sich anzuziehen – bewacht von einem Soldaten.
Kurze Zeit später führten Nynaeve und ihre Soldaten die Dosun und die vier Bediensteten – sie sollten niemand warnen können – aus dem Haus. Alle fünf sahen nicht sehr erfreut aus. Vermutlich glaubten sie die abergläubischen Gerüchte, dass die Nacht nicht sicher war. Nynaeve wusste es besser. Möglicherweise war die Nacht tatsächlich nicht sicher, aber das war nicht schlimmer als sonst auch. Vielleicht war es sogar sicherer. Waren weniger Leute unterwegs, dann verringerte sich auch die Möglichkeit, dass jemandem Dornen aus der Haut wuchsen oder er anfing zu brennen oder sonst ganz zufällig auf schreckliche Weise starb.
Sie verließen das Anwesen. Nynaeve schritt energisch aus und hoffte, den anderen durch ihre Gegenwart ihre Nervosität nehmen zu können. Sie nickte den Soldaten am Tor zu und schlug dann die Richtung ein, in die Loral zeigte. Ihre Schritte hallten von dem Bürgersteig, und die nächtliche Wolkendecke glühte leicht im Mondschein.
Nynaeve gestattete sich nicht den Luxus, ihren Plan zu hinterfragen. Sie hatte sich für einen Kurs entschieden, und bis jetzt lief alles ausgezeichnet. Sicher, möglicherweise würde es Rands Zorn erregen, dass sie Soldaten abkommandierte und Ärger machte. Aber manchmal musste man das Wasser in einem trüben Regenfass aufwühlen, wenn man sehen wollte, was sich auf seinem Grund befand. Alles war viel zu zufällig. Milisair Chadmar hatte den Boten vor Monaten gefangen genommen, aber er war erst gestorben, kurz bevor Rand ihn sehen wollte. Er war die einzige Person in der Stadt, die eine Ahnung hatte, wo sich der König aufhielt.
Es gab Zufälle. Wenn zwei Bauern sich stritten und eine ihrer Kühe in der Nacht starb, dann konnte das durchaus ein Zufall sein. Und manchmal enthüllten ein paar Nachforschungen das genaue Gegenteil.
Loral führte die Gruppe direkt ins Möwenfest, was man auch als Möwenbezirk bezeichnete; ein Stadtteil, in dessen Nähe die Fischer den Abfall ihres Fangs wegwarfen. Wie die meisten vernünftigen Leute hatte Nynaeve diesen Teil der Stadt gemieden, und ihre Nase erinnerte sie jetzt an den Grund. Fischinnereien stellten ja vielleicht ausgezeichneten Dünger dar, aber Nynaeve konnte die Komposthaufen schon mehrere Straßen zuvor riechen. Selbst die Flüchtlinge mieden diese dunkle Gegend.
Es war ein relativ langer Weg – verständlicherweise befand sich das Reichenviertel weit von Möwenfest entfernt. Nynaeve ignorierte die im Schatten liegenden Gassen und Gebäude, auch wenn ihr Gefolge sich unbehaglich um sie scharte; natürlich abgesehen von den Soldaten. Die Saldaeaner legten stattdessen die Hand auf die Krummschwerter und bemühten sich, in alle Richtungen gleichzeitig zu sehen.
Nynaeve wünschte sich, sie hätte Neuigkeiten aus der Weißen Burg erhalten. Wie lange war es her, dass sie etwas von Egwene und den anderen gehört hatte? Sie kam sich blind vor. Natürlich war es ihr eigener Fehler, weil sie darauf bestanden hatte, Rand zu begleiten. Jemand hatte ihn im Auge behalten müssen, aber das bedeutete, alle anderen aus der Sicht zu verlieren. War die Burg noch immer entzweit? War Egwene noch immer die Amyrlin? Was man sich so auf der Straße erzählte, war wenig hilfreich. Für jedes Gerücht, das an ihre Ohren gedrungen war, gab es zwei weitere, die das genaue Gegenteil berichteten. Die Weiße Burg kämpfte gegeneinander. Nein, sie kämpfte gegen die Asha’man. Nein, die Seanchaner hatten die Aes Sedai vernichtet. Oder der Wiedergeborene Drache. Nein, diese Gerüchte waren
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