Das Rad der Zeit 12. Das Original: Sturm der Finsternis (German Edition)
ihn nicht gefürchtet. Aber da hatte sie auch gewusst, dass nicht Rand derjenige war, der ihr wehtat, sondern Semirhage.
Aber dieser Rand, dessen Hand in Flammen stand und dessen Augen so konzentriert und zugleich so leidenschaftslos blickten, jagte ihr eine entsetzliche Angst ein.
»Ich habe es schon zuvor getan«, flüsterte er. »Ich sagte, ich töte keine Frauen, aber das war eine Lüge. Ich ermordete eine Frau, lange bevor ich Semirhage gegenübertrat. Ihr Name war Liah. Ich tötete sie in Shadar Logoth. Ich tötete sie und nannte es Gnade.«
Er wandte sich der Palastfestung unter ihnen zu.
»Vergebt mir, dass ich auch das hier eine Gnade nenne«, sagte er, aber er schien damit nicht Min zu meinen.
Vor ihm in der Luft formte sich ein unbeschreiblich grelles Licht, und Min schrie auf und wich zurück. Die Luft selbst schien sich zu verzerren, als würde sie sich angsterfüllt vor Rand zurückziehen. Um ihn herum flog kreisförmig Staub in die Höhe, und die von dem strahlenden Licht erhellten Bäume ächzten; die Kiefernadeln rasselten wie hunderttausend Insekten, die übereinanderkrochen. Min konnte Rand nicht länger sehen, da war nur noch eine lodernde, blendende Macht aus reinem Licht. Angehäufte pure Macht, die mit ihrer nicht fassbaren Energie die Härchen auf ihren Armen aufrichtete. In diesem Augenblick glaubte sie begreifen zu können, was die Eine Macht tatsächlich war. Sie war hier, genau vor ihr, verkörpert in dem Mann Rand al’Thor.
Und dann entließ er sie mit einem Laut wie einem Seufzen. Eine Säule unbefleckter Helligkeit schoss aus ihm hervor und brannte sich ihren Weg durch den stummen Nachthimmel, erhellte die Bäume unter ihr. Sie bewegte sich so schnell wie ein Fingerschnippen und traf die Mauer der fernen Festung. Die Steine leuchteten auf, als atmeten sie die Kraft der Energie ein. Die ganze Festung glühte auf, verwandelt in lebendiges Licht, in einen erstaunlichen, spektakulären Palast aus unverfälschter Energie. Es war wunderschön.
Und dann war er einfach verschwunden. Aus der Landschaft – und dem Muster – gebrannt, als hätte er niemals dortgestanden. Die ganze Festung, Hunderte Quadratfuß aus Stein, und jeder, der darin gelebt hatte.
Etwas traf Min, etwas wie eine Schockwelle. Es war kein greifbarer Windstoß und es ließ sie nicht stolpern, aber es verdrehte ihr Inneres. Der noch immer von dem Zugangsschlüssel in Rands Hand beleuchtete Wald schien sich auszudehnen und zu erbeben. Als stöhnte die Welt selbst voller Agonie.
Sie schnellte zurück, trotzdem konnte Min noch immer diese Anspannung fühlen. In diesem Augenblick hatte es den Anschein, als hätte die Substanz der Welt selbst kurz vor der Zerstörung gestanden.
»Was hast du getan?«, flüsterte Nynaeve.
Rand gab keine Antwort. Min konnte sein Gesicht wiedererkennen, jetzt, da die gewaltige Säule aus Baalsfeuer verschwunden war und nur den glühenden Zugangsschlüssel zurückgelassen hatte. Er war in Ekstase, sein Mund klaffte weit auf, und er hielt den Zugangsschlüssel vor sich in die Höhe wie eine Siegestrophäe. Oder als würde er ihn anbeten.
Dann biss er die Zähne zusammen, und er riss die Augen weit auf und zog die Lippen zurück, als stünde er unter großem Druck. Das Licht blitzte einmal auf und verschwand sofort. Alles wurde dunkel. Die plötzliche Dunkelheit ließ Min blinzeln. Das mächtige Bild von Rand schien sich in ihr Sichtfeld gebrannt zu haben. Hatte er wirklich getan, was sie glaubte, dass er getan hatte? Hatte er eine ganze Festung mit Baalsfeuer weggebrannt?
Die vielen Menschen. Männer, die von der Jagd zurückkehrten … Frauen, die Wasser trugen … Soldaten auf den Mauern … die Stallburschen davor …
Sie waren weg . Aus dem Muster gebrannt. Getötet. Tot für alle Ewigkeit. Der Schrecken des Ganzen ließ Min zurücktaumeln, und sie stemmte sich mit dem Rücken gegen einen Baum, um sich aufrecht zu halten.
So viele Leben, beendet in einem Augenblick. Tot. Vernichtet. Von Rand.
Von Nynaeve ging ein Licht aus, und Min sah, wie die Aes Sedai vom sanften Schein einer Lichtkugel über ihrer Hand beleuchtet wurde. In ihren Augen schien ein eigenes Feuer zu lodern. »Rand al’Thor, du bist völlig außer Kontrolle!«, verkündete sie.
»Ich tue, was getan werden muss«, sagte er und sprach nun aus den Schatten. Er klang erschöpft. »Überprüfe ihn, Nynaeve.«
»Was?«
»Den Narren«, sagte Rand. »Ist ihr Zwang noch da? Ist Graendals Berührung fort?«
»Ich
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