Das Rad der Zeit 12. Das Original: Sturm der Finsternis (German Edition)
auszusehen.
»Das kann sogar ein Narr wie er nicht übersehen«, sagte Rand und kniff die Augen zusammen. Er trug noch immer die Statuette in der Tasche. Min wünschte sich, er hätte das Ding zurückgelassen. Wie er ständig daran herumfummelte, bereitete ihr Unbehagen. Wie er sie liebkoste.
»Also hast du Ramshalan in den Tod geschickt«, sagte Nynaeve. »Was soll das bringen?«
»Sie wird ihn nicht töten«, erwiderte Rand.
»Wie kannst du dir da so sicher sein?«
»Das ist einfach nicht ihre Art. Nicht, wenn sie ihn gegen mich benutzen kann.«
»Du erwartest doch wohl nicht, dass sie ihm die Geschichte abnimmt, die du ihm erzählt hast«, meinte Min. »Dass du ihn bloß geschickt hast, um die Loyalität der Domani-Adligen auf die Probe zu stellen?«
Rand schüttelte langsam den Kopf. »Nein. Ich hoffe, dass sie einen Teil dieser Geschichte glaubt, aber ich rechne nicht damit. Es war mein Ernst, was ich über sie sagte, Min – sie ist schlauer als ich. Und ich fürchte, dass sie mich viel besser kennt als ich sie. Sie wird Ramshalan unter Zwang setzen und aus ihm unsere ganze Unterhaltung herausholen. Und dann findet sie eine Möglichkeit, diese Unterhaltung gegen mich zu verwenden.«
»Wie?«, fragte Min.
»Ich weiß es nicht. Ich wünschte, ich täte es. Sie wird sich schon etwas Schlaues einfallen lassen, dann wird sie Ramshalan mit einem sehr subtilen Zwang infizieren, den ich unmöglich voraussehen kann. Mir wird nur die Wahl bleiben, ihn in meiner Nähe zu behalten und zu beobachten, was er tut, oder ihn fortzuschicken. Aber natürlich wird sie auch daran denken, und was auch immer ich mache, wird ihre anderen Pläne in Bewegung setzen.«
»Bei dir hört sich das so an, als könntest du nicht gewinnen«, sagte Nynaeve stirnrunzelnd. Ihr schien die kühle Luft überhaupt nicht aufzufallen. Rand auch nicht. Wie auch immer dieser »Trick« funktionierte, Kälte und Hitze zu ignorieren, Min war nie dahintergekommen. Sie behaupteten, es hätte nichts mit der Einen Macht zu tun, aber wenn dem so war, warum waren dann Rand und die Aes Sedai die Einzigen, die ihn zustande brachten? Die Aiel schienen sich ebenfalls nicht an der Kälte zu stören, aber die zählten nicht. Sie schienen sich nie für die Anliegen normaler Menschen zu interessieren, auch wenn sie bei den unbedeutendsten Dingen sehr empfindlich reagieren konnten.
»Du sagst, wir können nicht gewinnen?«, fragte Rand. »Ist es das, was wir versuchen? Zu gewinnen?«
Nynaeve hob eine Braue. »Beantwortest du keine Fragen mehr?«
Rand sah sie an. Min stand auf der anderen Seite von ihm, also konnte sie seine Miene nicht sehen, dafür sah sie aber, dass Nynaeve alle Farbe aus dem Gesicht verlor. Es war ihre eigene Schuld. Spürte sie denn nicht, wie angespannt Rand war? Vielleicht kam Mins Frösteln ja gar nicht von der Kälte. Sie trat näher an ihn heran, aber er legte nicht den Arm um sie, wie er es früher getan hätte. Als er sich endlich von Nynaeve abwandte, sackte die Aes Sedai ein Stück in sich zusammen, als hätte sein Blick sie angehoben.
Eine Weile schwieg Rand, also warteten sie stumm auf dem Hügelkamm, während die ferne Sonne dem Horizont entgegenwanderte. Die Schatten wurden länger, Finger, die sich von der Sonne fortstreckten. Unten an der Festungsmauer fingen ein paar Stallburschen damit an, Pferde spazieren zu führen, damit sie etwas Auslauf bekamen. Weitere Lichter flammten in den Fenstern der Festung auf. Wie viele Menschen hatte Graendal wohl dort? Es mussten Dutzende sein, wenn nicht sogar Hunderte.
Ein Krachen im Unterholz ließ Min zusammenzucken; es wurde von Flüchen begleitet. Dann brach der Lärm abrupt ab.
Ein paar Augenblicke später erschien eine kleine Gruppe Aiel und führte einen zerzausten Ramshalan herbei, dessen kostbare Kleidung voller Kiefernadeln und von Ästen zerrissen war. Er klopfte sich ab, dann machte er einen Schritt auf Rand zu.
Die Töchter hielten ihn fest. Er sah sie verständnislos an, legte den Kopf schief. »Mein Lord Drache?«
»Ist er infiziert?«, wollte Rand von Nynaeve wissen.
»Mit was?«
»Graendals Berührung.«
Nynaeve stellte sich vor den Adligen und sah ihn einen Moment lang an. Dann zischte sie und sagte: »Ja. Er unterliegt einem schweren Zwang. Da sind viele Gewebe. Nicht so schlimm wie bei dem Kerzenmacherlehrling, vielleicht aber auch nur viel geschickter.«
»Mein Lord Drache, ich muss schon sagen«, ereiferte sich Ramshalan, »was geht hier vor? Die Lady des
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