Das Rad der Zeit 12. Das Original: Sturm der Finsternis (German Edition)
Scherben herumzutrampeln.
Sie nahm den nächsten kleinen Schluck.
Die Quelle ihrer Frustration – und Objekt von Merises Fragen – hing mit auf den Rücken gefesselten Armen kopfüber in der Luft, gehalten von Geweben aus Luft. Die Gefangene hatte kurzes lockiges Haar und dunkle Haut. Ihr Gesichtsausdruck entsprach trotz der Umstände Cadsuanes, was die Gelassenheit anging. Die Gefangene trug ein schlichtes braunes Kleid – ein Gewebe Luft hielt den Saum um ihre Beine, damit er ihr nicht ins Gesicht fiel und es verhüllte – und schien irgendwie diejenige zu sein, die hier die Kontrolle hatte, obwohl sie gefesselt und abgeschirmt war.
Merise stand vor der Gefangenen. Narishma lehnte an der Wand, die einzige andere Person im Raum.
Cadsuane führte das Verhör nicht selbst, noch nicht. Die anderen die Fragen stellen zu lassen arbeitete zu ihrem Vorteil; es ließ sie nachdenken und planen. Vor der Tür standen Erian, Sarene und Nesune und hielten die Abschirmung der Gefangenen aufrecht, zwei mehr, als man normalerweise für nötig hielt.
Bei einer Verlorenen ging man kein Risiko ein.
Ihre Gefangene war Semirhage. Ein Ungeheuer, das viele nur für eine Legende hielten. Cadsuane wusste nicht, wie viele der Geschichten über diese Frau der Wahrheit entsprachen. Aber sie wusste, dass sich Semirhage nicht leicht einschüchtern, aus der Ruhe bringen oder manipulieren ließ. Und das war das Problem.
»Nun?«, fragte Merise. »Eine Frage: habt Ihr eine Antwort?«
Semirhage betrachtete Merise, in ihrer Stimme lag eiskalte Verachtung, als sie sprach. »Weißt du, was mit einem Mann geschieht, dessen Blut man durch etwas anderes ersetzt?«
»Ich habe nicht …«
»Natürlich stirbt er«, sagte Semirhage und schnitt Merise das Wort wie mit Messern ab. »Der Tod tritt oft sofort ein, und ein schneller Tod ist nicht von großem Interesse. Durch Experimente habe ich eine Lösung entdeckt, die Blut effektiver ersetzen kann, die dem Subjekt erlaubt, nach der Transfusion noch für kurze Zeit zu überleben.«
Sie verstummte.
»Beantwortet die Frage«, sagte Merise. »Oder Ihr hängt wieder aus dem Fenster und …«
»Die Transfusion selbst benötigt natürlich den Einsatz der Macht«, unterbrach Semirhage sie erneut. »Andere Methoden sind nicht schnell genug. Ich habe das Gewebe selbst erfunden. Es kann das Blut sofort aus einem Körper ziehen und es in einem Glas sammeln, während es zugleich die Lösung nimmt und in die Adern drückt.«
Merise knirschte mit den Zähnen und wechselte einen Blick mit Narishma. Der Asha’man trug wie gewöhnlich Hosen und Mantel in Schwarz, sein langes schwarzes Haar war zu Zöpfen geflochten, an deren Enden Glöckchen baumelten. Er lümmelte sich an der Wand herum. Er hatte ein jungenhaftes Gesicht, aber da war zusehends ein gefährlicher Zug. Vielleicht kam der vom Training mit Merises anderen Behütern. Vielleicht kam es auch durch den Umgang mit Leuten, die eine Verlorene verhörten.
»Meine Warnung …«, fing Merise wieder an.
»Eines meiner Versuchskaninchen hat die Transfusion eine ganze Stunde lang überlebt«, sagte Semirhage im Plauderton. »Ich zähle das als einen meiner größten Erfolge. Natürlich litt er die ganze Zeit Schmerzen. Wahre Schmerzen, die er in jeder Ader seines Körpers spürte, bis hinunter in die fast unsichtbaren in seinen Fingern. Mir ist keine andere Methode bekannt, die zur gleichen Zeit in allen Körperteilen solche Qualen verursacht.«
Sie erwiderte Merises Blick. »Eines Tages werde ich dir das Gewebe zeigen.«
Merise wurde blass.
Mit einer peitschenhaften Handbewegung webte Cadsuane eine Abschirmung aus Luft um Semirhages Kopf, damit sie nichts hörte, dann webte sie Feuer und Luft zu zwei kleinen Leuchtkugeln, die sie direkt vor die Augen der Verlorenen platzierte. Das Licht war nicht hell genug, um sie zu blenden und ihre Augen zu schädigen, aber es verhinderte, dass sie etwas sah. Das war ein besonderer von Cadsuanes Tricks; viele Schwestern würden zwar daran denken, einen Gefangenen nichts hören zu lassen, ihn aber zusehen lassen. Man konnte nie wissen, wer Lippenlesen gelernt hatte, und sie hatte nicht vor, ihre derzeitige Gefangene zu unterschätzen.
Merise sah sie unwirsch an.
»Ihr habt die Kontrolle über sie verloren«, sagte Cadsuane energisch und stellte die Teetasse neben ihrem Stuhl auf den Boden.
Merise zögerte, dann nickte sie und sah jetzt wirklich wütend aus. Vermutlich auf sich selbst. »Diese Frau, bei ihr
Weitere Kostenlose Bücher