Das Rad der Zeit 12. Das Original: Sturm der Finsternis (German Edition)
»Es reicht.«
Der Asha’man errötete. »Bitte vergebt mir, mein Lord Drache.«
Corele lachte leise und klopfte Flinn auf die Schulter. »Beachte ihn nicht weiter, Damer«, sagte sie mit ihrem melodischen murandianischen Akzent. »Er ist schon den ganzen Morgen so mürrisch wie eine Gewitterwolke.«
Rand warf ihr einen Blick zu, aber sie lächelte bloß gutmütig. Ganz egal, was Aes Sedai grundsätzlich von Männern hielten, die die Macht lenken konnten, diejenigen unter ihnen, die Asha’man als Behüter genommen hatten, schienen ihnen gegenüber so fürsorglich zu sein wie Mütter bei ihren Kindern. Sie war mit einem seiner Männer den Bund eingegangen, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass Flinn einer seiner Männer war. Zuerst ein Asha’man, und erst dann ein Behüter.
»Was denkt Ihr, Elza?«, fragte er die andere Aes Sedai. »Über den Makel und Harines Worte?«
Die rundgesichtige Frau zögerte. Sie ging mit hinter dem Rücken verschränkten Händen; das dunkelgrüne Kleid fiel nur durch subtile Stickereien auf. Für eine Aes Sedai war das bestenfalls zweckmäßig zu nennen. »Wenn mein Lord Drache sagt, dass der Makel entfernt wurde«, erwiderte die Frau mit sorgfältig gewählten Worten, »dann ist es sicherlich ungehörig, ihn in Gegenwart anderer anzuzweifeln.«
Rand schnitt eine Grimasse. Eine typische Aes Sedai-Antwort. Eid oder nicht, Elza machte, was sie wollte.
»Oh, wir waren beide bei Shadar Logoth dabei«, sagte Corele und rollte mit den Augen. »Wir haben gesehen, was Ihr getan habt, Rand. Außerdem kann ich den männlichen Teil der Macht durch den lieben Damer hier spüren, wenn wir uns verbinden. Sie hat sich verändert. Der Makel ist verschwunden. Sie ist so rein wie das Sonnenlicht, auch wenn sich das Lenken der männlichen Hälfte noch immer wie ein Ringkampf mit einem Sommerwirbelwind anfühlt.«
»Ja«, sagte Elza, »das mag ja so sein, aber Lord Drache, Ihr müsst verstehen, wie schwer es anderen fallen wird, das zu glauben. Im Zeitalter des Wahnsinns hat es Jahrzehnte gedauert, bis so mancher akzeptieren konnte, dass männliche Aes Sedai zum Wahnsinn verurteilt waren. Vermutlich wird es noch viel länger dauern, bis sie ihr Misstrauen überwunden haben, jetzt, da es so tief in ihnen verwurzelt ist.«
Rand atmete tief durch. Er hatte einen kleinen Hügel beim Lager erreicht, direkt neben dem Erdwall. Er stieg weiter hinauf, und die Aes Sedai folgten ihm. Hier hatte man eine kleine hölzerne Plattform errichtet – eine Schützenstellung, um Pfeile über den Wall schießen zu können.
Er blieb auf der Hügelmitte stehen, umgeben von Töchtern. Die ihm salutierenden Soldaten nahm er kaum wahr, als er sich das saldaeanische Lager mit seinen ordentlichen Zeltreihen ansah.
War das alles, was er der Welt hinterlassen würde? Ein entfernter Makel, und trotzdem wurden Männer wegen etwas, für das sie nichts konnten, auch weiterhin getötet oder ins Exil geschickt? Die meisten Nationen hatte er an sich gebunden. Trotzdem wusste er genau, je fester man einen Ballen schnürte, umso lauter peitschten die Schnüre, wenn man sie durchschnitt. Was würde geschehen, wenn er starb? Kriege und Verwüstungen, die der Zerstörung der Welt entsprachen? Das letzte Mal hatte er nicht helfen können, denn sein Wahnsinn und die Trauer um Ilyenas Tod hatten ihn aufgefressen. Konnte er dieses Mal etwas Ähnliches verhindern? Hatte er überhaupt eine Wahl?
Er war ta’veren . Das Muster beugte und formte sich um ihn herum. Und doch hatte er als König sehr schnell eines gelernt: über je mehr Autorität man verfügte, desto weniger Kontrolle hatte man über das eigene Leben. Die Pflicht war wahrlich schwerer als ein Berg; sie erzwang seine Handlungen genauso oft, wie es die Prophezeiungen taten. Oder waren beide ein und dasselbe? Pflicht und Prophezeiung? Seine Natur als Ta’veren und sein Platz in der Geschichte? Konnte er sein Leben ändern? Konnte er nach seinem Dahinscheiden eine bessere Welt hinterlassen, statt die Nationen in sich zerrissen und blutend zurückzulassen?
Er beobachtete das Lager, wo Männer ihrer Arbeit nachgingen und Pferde mit der Nase auf dem Boden umherstrichen, auf der Suche nach Flecken mit Wintergras, das noch nicht bis zu den Wurzeln abgenagt war. Obwohl er seinem Heer befohlen hatte, mit wenig Gepäck zu reisen, gab es trotzdem einen Tross. Frauen, die Essen kochten und Wäsche wuschen, Schmiede und Hufschmiede, die sich um Ausrüstung und Pferde kümmerten,
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