Das Rad der Zeit 14. Das Original: Das Vermächtnis des Lichts (German Edition)
umgängliche Mann eine grimmige Miene.
»Sandip«, sagte Talmanes und streckte den Arm aus. »Dort!«
In der Nähe drängte sich eine große Gruppe Kämpfer und betrachtete die Stadt.
»Söldner«, stieß Sandip mit einem Grunzen hervor. »Wir sind einigen Gruppen davon begegnet. Niemand schien geneigt zu sein, auch nur einen Finger zu rühren.«
»Das werden wir ja sehen«, sagte Talmanes. Noch immer strömten Menschen hustend aus den Stadttoren, hastig zusammengeraffte Besitztümer auf den Armen, mit weinenden Kindern an der Hand. Dieser Strom würde nicht so bald versiegen. Caemlyn war so voll wie eine Schenke am Markttag; verglichen mit jenen, die noch drinnen waren, würden die, die das Glück gehabt hatten, entkommen zu können, nur einen kleinen Bruchteil ausmachen.
»Talmanes«, sagte Sandip leise. »Diese Stadt wird sich bald in eine Todesfalle verwandeln. Es gibt nicht genügend Ausgänge. Wenn wir zulassen, dass die Bande drinnen eingekesselt wird …«
»Ich weiß. Aber …«
An den Toren durchfuhr die Flüchtlinge ein Gefühl, das sich weiter fortpflanzte. Beinahe war es körperlich zu spüren, ein Schauder. Die Schreie wurden noch lauter. Talmanes fuhr herum; riesige Gestalten bewegten sich in den Schatten des Tores.
»Beim Licht!«, stieß Sandip hervor. »Was ist das?«
»Trollocs!«, sagte Talmanes. »Licht! Sie wollen das Tor erobern, die Flüchtlinge einsperren.« Die Stadt verfügte über fünf Tore; falls die Trollocs sie alle hielten …
Das war bereits ein Gemetzel. Falls die Trollocs die angsterfüllten Menschen an ihrer Flucht hindern konnten, würde es noch viel schlimmer werden.
»Lasst die Reihen schneller vorrücken!«, brüllte Talmanes. »Alle Männer zu den Stadttoren!« Er trieb Selfar zum Galopp an.
An jedem anderen Ort hätte man das Gebäude als Gasthaus bezeichnet, aber außer der Frau mit dem abgestumpften Blick, die sich um die paar schmucklosen Zimmer kümmerte und fade Mahlzeiten zubereitete, war Isam hier noch niemand anderem begegnet. Ein Besuch an diesem Ort war niemals erfreulich. Er saß auf einem harten Hocker an einem Tisch aus Pinienholz, der so alt war, dass er vermutlich schon lange vor seiner Geburt jede Farbe verloren hatte. Er vermied es, zu oft mit der Oberfläche in Berührung zu kommen, damit er sich nicht mehr Splitter einfing, als Aiel Speere hatten.
Ein verbeulter Zinnbecher war mit einer dunklen Flüssigkeit gefüllt, aber Isam trank nicht. Er saß nahe genug am einzigen Fenster des Schenkraums an der Wand, um die ungepflasterte Straße zu beobachten, die jetzt am Abend von ein paar an den Nachbarhäusern hängenden verrosteten Laternen kaum ausreichend beleuchtet wurde. Er achtete darauf, sein Profil nie durch das verdreckte Glas sehen zu lassen. Er schaute nie direkt nach draußen. In dieser Stadt war es immer besser, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Die Stadt. Das war der einzige Name, den der Ort hatte, falls man das überhaupt als Namen bezeichnen konnte. Im Verlauf von zweitausend Jahren war diese Siedlung aus primitiv gezimmerten Gebäuden zahllose Male neu errichtet worden. Tatsächlich ähnelte sie sogar einer Stadt von ordentlicher Größe, wenn man die Augen zusammenkniff und nicht genau hinsah. Die meisten Häuser waren von Gefangenen gebaut worden, die oftmals kaum oder auch gar keine Ahnung vom Handwerk hatten. Überwacht hatten sie Männer, die genauso inkompetent gewesen waren. Eine ordentliche Zahl der Gebäude schien lediglich von den Nebenhäusern aufrechterhalten zu werden.
Schweiß rann Isam die Schläfen hinunter, während er verstohlen die Straße im Auge behielt. Wer würde zu ihm kommen?
In der Ferne konnte er nur mühsam die Umrisse des Berges ausmachen, der den Nachthimmel spaltete. Irgendwo scharrte Eisen über Eisen; es klang wie ein stählerner Herzschlag. Auf der Straße bewegten sich Gestalten. In Umhänge gehüllte Männer, deren Gesichter bis zu den Augen von blutroten Schleiern verborgen wurden.
Isam achtete darauf, die Blicke nicht auf ihnen ruhen zu lassen.
Donner grollte. Die Hänge dieses Berges waren voller seltsamer Blitze, die nach oben in die allgegenwärtigen grauen Wolken zuckten. Nur wenige Menschen wussten von dieser Stadt, die nicht weit vom Thakan’dar-Tal entfernt lag, über das sich der Shayol Ghul erhob. Selbst Gerüchte darüber waren nur wenigen bekannt. Isam hätte nichts dagegen gehabt, zu den Unwissenden zu gehören.
Wieder ging ein Mann vorbei. Rote Schleier. Sie hatten
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