Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
entgegenzunehmen, wodurch sie ihn nicht erreichte, bis er bereits einen Gang im zweiten Stock hinablief. Sie eilte voran und pflanzte sich vor ihm auf. Sein überwiegend graues Haar war windzerzaust und sein kantiges Gesicht und der abgetragene Ledermantel staubig. Er wirkte zuverlässig wie ein Fels.
Er hob ein Bündel Papiere hoch, sagte: »Ich muss dies abliefern, Siuan«, und versuchte, um sie herumzugehen.
Sie stellte sich ihm erneut in den Weg. »Ich wurde Geheilt. Ich kann die Macht wieder lenken.«
Er nickte. Er nickte nur! »Ich habe Gerüchte darüber gehört. Das bedeutet vermutlich, dass Ihr meine Hemden von jetzt an durch das Lenken der Macht säubern werdet. Vielleicht werden sie dann wirklich sauber. Ich habe es bereits bedauert, Min so einfach gehen gelassen zu haben.«
Siuan sah ihn an. Der Mann war kein Narr. Warum gab er vor, nicht zu verstehen? »Ich bin wieder eine Aes Sedai. Erwartet Ihr wirklich von einer Aes Sedai, dass sie Eure Hemden wäscht?«
Nur um es ihm noch besser zu verdeutlichen, umarmte sie Saidar – dieses lange vermisste Wohlgefühl war so wunderbar, dass sie erschauderte – hüllte ihn in Stränge aus Luft und hob ihn an. Versuchte ihn anzuheben. Sie versuchte es keuchend stärker, bis das Wohlgefühl sie wie mit tausend Haken stach. Seine Stiefel hoben sich keinen Millimeter vom Boden.
Das war unmöglich. Die eigentlich einfache Handlung, etwas hochzuheben, war zugegebenermaßen eines der schwierigsten Dinge beim Lenken der Macht, aber sie hatte bereits ihr dreifaches Körpergewicht anheben können.
»Soll mich das beeindrucken oder erschrecken?«, fragte Bryne ruhig. »Sheriam und ihre Freunde haben ihr Wort gegeben, der Saal hat sein Wort gegeben, und, was noch wichtiger ist, Ihr habt Euer Wort gegeben, Siuan. Ich würde Euch selbst dann nicht entkommen lassen, wenn Ihr wieder die Amyrlin wärt. Jetzt macht rückgängig, was immer Ihr getan habt, oder ich werde Euch, wenn ich mich selbst daraus befreit habe, auf den Kopf stellen und wegen Eures kindischen Verhaltens schütteln. Ihr seid sehr selten kindisch, also braucht Ihr nicht zu denken, dass ich Euch jetzt damit anfangen lasse.«
Benommen ließ sie die Quelle los. Nicht wegen seiner Drohung – er war dessen fähig; er hatte es schon früher getan, aber es war dennoch nicht deshalb – und nicht aus Entsetzen darüber, dass sie ihn nicht hatte anheben können. Tränen schienen wie ein Springbrunnen in ihr aufzuwallen. Sie hoffte, dass das Loslassen Saidars sie aufhalten würde. Einige Tränen liefen dennoch ihre Wangen hinab, wie fest sie auch blinzelte.
Gareth umschloss ihr Gesicht mit beiden Händen, bevor sie auch nur bemerkte, dass er sich bewegt hatte. »Licht, Frau, erzählt mir nicht, dass ich Euch erschreckt habe. Ich habe geglaubt, Ihr würdet nicht einmal Angst bekommen, wenn Ihr in eine Löwengrube fallen würdet.«
»Ich bin nicht erschreckt«, sagte sie steif. Gut, sie konnte noch immer lügen. Tränen, die sich innerlich aufbauten.
»Wir müssen einen Weg finden, dem anderen nicht ständig an die Kehle zu gehen«, sagte er leise.
»Es gibt keinen Grund, warum wir einen Weg für etwas finden müssten.« Sie kamen. Sie kamen. Oh, Licht, sie durfte es ihn nicht sehen lassen. »Lasst mich einfach allein. Bitte, geht einfach.« Verwunderlicherweise zögerte er nur einen Moment, bevor er ihrer Aufforderung nachkam.
Als sie schließlich Stiefelgeräusche hinter sich hörte, konnte sie gerade noch um die Ecke in den Quergang fliehen, bevor der Damm brach und sie auf die Knie sank und jämmerlich weinte. Sie wusste jetzt, was es war. Alric, ihr Behüter. Ihr verstorbener Behüter, der ermordet wurde, als Elaida sie absetzte. Sie konnte lügen – die Drei Eide waren noch unwirksam –, aber ein Teil ihres Bundes mit Alric, eines Bundes von Fleisch zu Fleisch und von Geist zu Geist, war wieder zum Leben erweckt worden. Der Schmerz über seinen Tod, der zunächst durch das Entsetzen über das, was Elaida beabsichtigt hatte, verdeckt worden war – dieser Schmerz füllte sie jetzt vollkommen aus. Weinend an der Wand kauernd, war sie nur froh, dass Gareth dies nicht sah. Ich habe keine Zeit, mich zu verlieben, verdammt sei er!
Der Gedanke wirkte wie ein Eimer kaltes Wasser ins Gesicht. Der Schmerz blieb, aber die Tränen versiegten, und sie stand mühsam auf. Liebe? Das war genauso unmöglich wie … wie … Ihr fiel nichts ein, was ausreichend unmöglich gewesen wäre. Der Mann war
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