Das Rad der Zeit 9. Das Original: In den Klauen des Winters (German Edition)
dass sie etwas anderes darstellen, als sie in Wirklichkeit sind. Sie können unter Eurer Anleitung arbeiten, dadurch habt Ihr Zeit, um zu essen und zu schlafen. Ich glaube nicht, dass Ihr eines davon tut.« Sie drückte die Brust raus und zog die Stola über Arme und Schultern. Es war eine bemerkenswerte Vorstellung. So klein sie auch war – sie war kaum größer als Zarya und entschieden kleiner als Vandene oder Kirstian –, schien sie die Größte von ihnen allen zu sein. Es war eine Fähigkeit, die Elayne nur zu gern beherrscht hätte. Obwohl sie es niemals in einem so geschnittenen Gewand probieren würde. Nynaeve lief Gefahr, den Inhalt ihres Dekolletés herauszudrücken. Aber das tat ihrem Auftritt keinen Abbruch. Sie war die personifizierte Befehlsgewalt. »Vandene, Ihr werdet es tun«, sagte sie entschieden.
Vandenes Stirnfalte verschwand langsam, aber sie verschwand. Nynaeve war ihr in der Beherrschung der Macht überlegen und nahm einen dementsprechend höheren Rang ein, und obwohl sie niemals bewusst darüber nachgedacht hätte, sorgten die tief in ihr verwurzelten Konventionen dafür, dass sie – wenn auch unwillig – nachgab. Als sie sich den beiden Frauen in Weiß zuwandte, war ihr Gesicht fast wieder so reglos, wie es seit Adeleas Ermordung war. Was nur bedeutete, dass die Richterin im Augenblick keine Hinrichtung anordnen würde. Vielleicht später. Ihr hageres Gesicht war ganz ruhig und sehr grimmig.
»Ich habe eine Zeit lang Novizinnen unterrichtet«, räumte sie ein. »Eine kurze Zeit. Die Herrin der Novizinnen fand, ich würde meine Studentinnen zu streng behandeln.« Der Eifer der beiden Novizinnen kühlte etwas ab. »Ihr Name war Sereille Bagand.« Zaryas Gesicht wurde so bleich wie Kirstians, und Kirstian schwankte, als wäre ihr plötzlich schwindelig. Sereille war zuerst Herrin der Novizinnen und später dann Amyrlin-Sitz gewesen und sie war eine Legende. Die Art von Legende, die einen in der Nacht schweißgebadet aufwachen ließ. »Ich esse«, sagte Vandene zu Nynaeve gewandt. »Aber alles schmeckt wie Asche.« Sie gab den beiden Novizinnen mit einer knappen Geste zu verstehen, ihr zu folgen, und führte sie an Lan vorbei. Die beiden schwankten leicht, als sie ihr folgten.
»Stures Weib«, murmelte Nynaeve und sah ihnen stirnrunzelnd nach, aber in ihrer Stimme lag mehr als nur eine Spur von Mitgefühl. »Ich kenne ein Dutzend Kräuter, die ihr helfen würden zu schlafen, aber sie rührt sie nicht an. Ich hätte nicht übel Lust, ihr etwas in den abendlichen Wein zu mischen.«
Eine kluge Herrscherin weiß, wann sie sprechen muss und wann nicht, dachte Elayne. Nun, darin steckte ein Körnchen Weisheit. Wenn Nynaeve jemanden als stur bezeichnete, war das in etwa so, als würde der Hahn den Fasan stolz nennen. Aber sie verkniff sich die Bemerkung. Stattdessen fragte sie: »Weißt du, welche Neuigkeit Reanne hat? So wie ich es verstanden habe, soll es eine gute Neuigkeit sein.«
»Ich habe sie heute Morgen nicht gesehen«, murmelte Nynaeve, die noch immer Vandene nachblickte. »Ich habe meine Gemächer nicht verlassen.« Sie riss sich abrupt aus ihren Gedanken und sah Elayne aus irgendeinem Grund misstrauisch an. Und dann ausgerechnet Lan. Er stand ungerührt weiter Wache.
Nynaeve behauptete, ihre Ehe sei wunderbar – sie konnte schockierend freimütig sein, wenn sie mit anderen Frauen darüber sprach –, aber Elayne glaubte, dass sie log, um ihre Enttäuschung zu verbergen. Es war ziemlich wahrscheinlich, dass Lan jederzeit für einen Angriff und zum Kampf bereit war, selbst wenn er schlief. Vermutlich war es so, als würde man neben einem hungrigen Löwen schlafen. Davon einmal abgesehen reichte das steinerne Gesicht schon aus, um jedes Ehebett zu einem kalten Ort zu machen. Glücklicherweise hatte Nynaeve keine Ahnung, was sie dachte. Die Frau lächelte doch tatsächlich. Seltsamerweise ein amüsiertes Lächeln. Amüsiert und … War es möglich, dass es herablassend gemeint war? Natürlich nicht. Reine Einbildung.
»Ich weiß, wo Reanne steckt«, sagte Nynaeve und ließ die Stola zurück in die Armbeugen rutschen. »Komm mit. Ich bringe dich zu ihr.«
Elayne wusste genau, wo sich Reanne aufhalten würde, da sie nicht zusammen mit Nynaeve untergebracht war, aber sie hielt ihre Zunge im Zaum und ließ zu, dass Nynaeve sie führte. Eine Art Buße für den Streit von eben, als sie hätte versuchen sollen, Frieden zu stiften. Lan folgte ihnen und die kalten Augen musterten die
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