Das Rätsel der Fatima
Schließlich hielt Beatrice es nicht mehr aus und griff zum Telefon.
2
Die in Trance beobachtete Beatrice den dunkelhaarigen Sanitäter, der gerade eine Blutdruckmanschette um ihren rechten Oberarm legte. Sie versuchte, sich an seinen Namen zu erinnern, aber er wollte ihr nicht einfallen. Dabei kannte sie ihn und seinen rothaarigen Kollegen recht gut aus dem Krankenhaus. Schon oft hatte sie mit den beiden gesprochen, wenn sie Patienten in die Notaufnahme brachten – Patienten mit Verdacht auf Darmverschluss, Gallenkoliken oder Unfallopfer. Dass sie jetzt selbst eine Patientin war, wollte ihr nicht in den Sinn. Gegen alle Vernunft hoffte sie immer noch auf ein erlösendes Erwachen aus diesem abscheulichen Albtraum.
Der Rothaarige warf die Türen des Krankenwagens zu und kletterte rasch auf den Fahrersitz.
»Alles klar dahinten?«, rief er über die Schulter.
»Ja, es kann losgehen!«
Während sein Kollege den Motor startete und das Martinshorn anschaltete, entnahm der Dunkelhaarige einer Schublade über der Liege ein Stethoskop, um den Blutdruck zu messen. Beatrice kannte die spartanische, aber zweckmäßige Einrichtung der Krankenwagen. Sie selbst hatte eine Zeit lang im Rahmen ihrer chirurgischen Ausbildung im Notarztwagen gearbeitet. Aber es war das erste Mal, dass sie alles aus der Perspektive des Patienten erlebte. Eine Erfahrung, auf die sie liebend gern verzichtet hätte.
»Hundertzehn zu sechzig«, sagte der Sanitäter und klang dabei fast fröhlich.
Es war Beatrice schon oft aufgefallen, dass Sanitäter meistens gut gelaunt waren. Ob es daran lag, dass sie sich einbilden konnten, den ganzen Tag lang Menschenleben zu retten? Sie brachten die Patienten mit ihren Beschwerden ins Krankenhaus, wo ihnen geholfen werden sollte. Wie es dort tatsächlich weiterging, erfuhren sie nie.
»In welcher Woche sind Sie schwanger?«
»Dreißigste«, antwortete Beatrice und spürte, wie eine neue Wehe kam.
Der Dunkelhaarige pfiff durch die Zähne. »Ein bisschen früh. Wissen die schon, dass Sie kommen?«
Beatrice nickte. »Ich habe zuerst im Krankenhaus angerufen. Die Kollegen im Kreißsaal wissen Bescheid.«
»Nun entspannen Sie sich erst mal, Frau Doktor«, sagte der Sanitäter und tätschelte beruhigend ihre Hand. »Wird schon alles werden.«
Entspannen! Wie sollte sie sich entspannen, wenn ihr vor lauter Angst schlecht war? Sie war doch selbst Ärztin, sie wusste, welches Risiko Wehen in diesem Stadium der Schwangerschaft bedeuteten. Die dreißigste Woche. Das war einfach viel zu früh. Das Kind war noch nicht reif genug, um jetzt schon auf die Welt zu kommen.
Beatrice presste die Lippen zusammen und versuchte, die schrecklichen Bilder eines winzigen, an Beatmungsmaschinen angeschlossenen, künstlich ernährten Babys zu verdrängen. Hätte sie doch nur Markus gleich wieder fortgeschickt.
Ob Markus ahnte, was er angerichtet hatte? Wohl kaum. Vermutlich saß er gerade in diesem Augenblick im Flur seiner Wohnung auf dem staubfreien Laminatboden, den Holzkasten mit den teuren englischen Schuhcremes vor sich, und versuchte, die Kratzer und Striemen von seinen Slippern zu beseitigen. Eine neue Wehe, diesmal noch stärker als zuvor, überrollte sie. Beatrice wurde übel. Wenn sie wenigstens kein Sushi gegessen hätte.
»Wir sind gleich da.«
Der Krankenwagen ging so scharf in die Kurve, dass sich der Sanitäter festhalten musste. Dann bremste er mit quietschenden Reifen. Der Rothaarige schaltete das Blaulicht und den Motor ab, sprang aus dem Wagen und öffnete die Tür.
Im grellen Licht der Notaufnahme sah Beatrice schemenhaft einige weiße Gestalten den Flur entlanghuschen. Vermutlich waren es Schwestern, die den Sanitätern entgegeneilten, vielleicht Kollegen, die davon gehört hatten, dass es diesmal einen von ihnen erwischt hatte. Wahrscheinlich aber war es nur die übliche Routine.
»Schwangerschaft, dreißigste Woche, vorzeitige Wehen«, hörte Beatrice den Rothaarigen zu einer der Schwestern sagen.
»Dann hoch in den Kreißsaal«, entgegnete sie. »Wissen die oben Bescheid?«
Die Erleichterung war ihr deutlich anzuhören. Wenigstens dieser Transport galt nicht den Chirurgen.
»Guten Abend«, sagte die Schwester und wandte sich Beatrice zu. »Die Sanitäter werden Sie gleich…« Sie brach ab und riss erschrocken die Augen auf. »Mein Gott, Bea, was ist denn…«
»Du hast es ja gehört, Susanne«, antwortete Beatrice und versuchte zu lächeln. Es misslang ihr gründlich. Stattdessen
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