Das Rätsel der Fatima
solchen Anblick kaum ertragen konnte. Ein Kommentar würde sicher nicht lange auf sich warten lassen.
»Ich komme direkt von einem Termin«, sagte er, und Beatrice versuchte jetzt die kleine steile Falte zu übersehen, die sich zwischen seinen Augenbrauen bildete.
Sie warf einen Blick in ihren Kühlschrank und dachte angestrengt nach. Was konnte sie jemandem anbieten, der als Snack ofenfrische Crostini mit Trüffelcreme bevorzugte und in seinem Penthouse sogar einen temperierten Weinschrank hatte, um seine sündhaft teuren Rotweine zu lagern? Käsebrot, Joghurt und eine Dose Cherry-Coke, ihr eigenes Abendessen, würden Markus’ Ansprüchen wohl kaum genügen. Sollte sie einen Nudelsalat machen? Sie hatte noch Tomaten, ein paar Oliven und gekochten Schinken. Oder sollte sie lieber einen Lieferservice anrufen?
»Mach dir keine Umstände, Bea. Ich habe mir erlaubt, eine Kleinigkeit mitzubringen.« Lächelnd holte Markus aus einer stabilen Tüte zwei große abgedeckte Plastikschalen und zwei Thermobecher mit dem Zeichen einer der besten Sushi-Bars der Hansestadt heraus. »Miso-Suppe, Maki-Röllchen mit Garnelen und Kaviar, Nigiri-Sushi vom Lachs und Sashimi. Du brauchst jetzt viel Eiweiß.«
Beatrice schluckte ihre Wut hinunter, die einen Augenblick lang in ihr Oberhand zu gewinnen drohte. Vermutlich war Markus nur besorgt, wollte nett sein, ihr etwas Gutes tun. So wie er es immer getan hatte. Vielleicht hatte er darüber sogar vergessen, dass sie rohen Fisch verabscheute.
»Danke«, erwiderte Beatrice und versuchte den Gedanken an leckeres Schweinefleisch süßsauer oder würziges indonesisches Curryhuhn zu verdrängen. »Sei so lieb und stell alles auf den Esstisch, ich hole die Stäbchen.«
»Aber dort steht noch Geschirr.«
»Dann schieb es eben zur Seite oder tu’s in die Spüle, wenn es dir nichts ausmacht«, fauchte Beatrice ihn an. »Meine Putzfrau hat heute frei.«
Markus hob eine Augenbraue, sagte aber nichts.
»Entschuldige, tut mir leid.« Beatrice seufzte und strich sich müde das Haar aus dem Gesicht. »War nicht so gemeint. Ich bin einfach fix und fertig. Dieser Tag heute war die Hölle.«
Markus nickte verständnisvoll. »Schon vergessen. Komm, iss was, danach wird es dir besser gehen.« Er schob ihr den Stuhl zurecht, wartete, bis sie bequem saß, und setzte sich mit einem »guten Appetit« neben sie.
Nach einer Weile fragte er: »Wie geht es dir?«
»Gut«, antwortete Beatrice und fischte sich mit den Stäbchen ein Tofustück aus der Miso-Suppe. »Meine Gynäkologin ist zufrieden, ich bin zufrieden, das Kind wächst und gedeiht, bislang gab es keine Komplikationen. Was will ich mehr?«
»Tatsächlich?« Markus tupfte sich mit einer Serviette den Mund ab. »Du arbeitest zu viel, du überforderst dich. In deinem Zustand solltest du vernünftiger sein und pünktlich Feierabend machen.«
»Glaube mir, es geht mir gut. Ich liebe meine Arbeit, vermutlich könnte ich ohne gar nicht leben. Okay, manchmal bleibe ich etwas länger. Aber ich kann doch die Kollegen nicht ausgerechnet dann im Stich lassen, wenn das Chaos tobt und die Patienten in den Fluren Schlange stehen.« Beatrice seufzte, als ihr einfiel, dass Markus sie vermutlich trotzdem nicht verstand. »Sieh mal, wenn du an einem Projekt arbeitest, verlässt du dein Büro auch nicht mit dem Gongschlag, sondern arbeitest, bis das Thema abgeschlossen ist. Ich tue nichts anderes. Abgesehen davon, dass es in meinem Job um mehr als Werbekampagnen geht.«
Markus runzelte missbilligend die Stirn. »Darauf antworte ich jetzt besser nicht.«
»Was meinst du damit?«
Er legte seine Stäbchen zur Seite. Zu ihrem Erstaunen stellte Beatrice fest, dass er beleidigt war.
»Vermutlich merkst du es selbst nicht, aber seit ich hier bin, reagierst du aggressiv auf alles, was ich sage oder mache.«
»Es tut mir leid. Es tut mir wirklich leid. Aber ich bin müde. Wahrscheinlich würde mich heute sogar ein so friedfertiger Mensch wie der Dalai Lama reizen. Also nimm es bitte nicht persönlich.«
Im gleichen Moment wurde Beatrice klar, dass sie nicht die Wahrheit sagte. Ihre Aggressivität hatte sehr wohl mit Markus zu tun und war ausschließlich gegen ihn gerichtet – gegen sein unerwartetes Auftauchen, gegen seine fanatische Ordnungsliebe, seinen Perfektionismus und gegen das Sushi. Plötzlich merkte sie, dass er sie vom ersten Augenblick an zur Weißglut getrieben hatte. Allerdings war es ihr irgendwie gelungen, diese Gefühle fast drei Jahre lang zu
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