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209 - Die fliegende Stadt

209 - Die fliegende Stadt

Titel: 209 - Die fliegende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Schwartz und Jana Paradigi
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Toulouse-à-l’Hauteur, Januar 2524
    Jeden zweiten Tag inspizierte Hau Mikh die Küche, um sich persönlich von der einwandfreien Verarbeitung der hoheitlichen Häppchen zu überzeugen.
    »Für die Herrin nur das Beste«, wiederholte er, die Hände vor der Brust verschränkt, sein Sprüchlein gegenüber jedem, dem er begegnete. Er schenkte dem Küchenvolk ein wohlwollendes Lächeln, wenn alles zu seiner Zufriedenheit ausfiel. »Spart nicht an Mehl und Glasur! Der Puderzucker darf auf keinen Fall mit irgendwelchen Gewürzen oder Zutaten verunreinigt werden! Die Mistress duldet nicht die kleinste Verfärbung!«
    Es war nötig, das Personal ständig daran zu erinnern, denn Crella Dvill war eine überaus unduldsame Herrin. Und diese Ambassai-Sklaven strotzten nicht gerade vor Intelligenz, das hatte er schnell herausgefunden.
    Bilder seiner Heimat zogen wehmütig vor Hau Mikhs innerem Auge vorbei. Sandige Unendlichkeit. Ein Sonnenstrahl, der über die Kante der großen Pyramide glitt und ihre Spitze wie Weißgold erstrahlen ließ. Er seufzte.
    In Egeeti wurden Paläste seit jeher aus massivem Stein gefertigt, gebaut für die Ewigkeit. Hier, im Grenzland von Kenyaa, konnte man schon froh sein, wenn die Wände und Decken nicht nur aus Zeltplanen bestanden – ein Tribut, den man der besonderen Lage der Stadt zu zahlen hatte. Bambus, gewachstes Netzgewebe und Hanfseil waren ohne Frage leichter in der Luft zu halten als Sandstein oder gar Marmor.
    Zuhause hatten breite Treppen, Säulen und Bögen das Palastbild geprägt. In der Wolkenstadt Toulouse-à-l’Hauteur fand man statt ihrer schwankende Stege, Hängebrücken und Strickleitern. Von dem Gestank ganz zu schwei…
    Blitzartig zog Hau Mikh seine Hand, mit der er ein Tsebra-Filet geprüft hatte, zurück. Gerade noch rechtzeitig, bevor der Schnitzelklopfer krachend seine Metallzähne ins Fleisch schlug.
    »Pass doch auf, Schwachkopf!«, zischte Hau Mikh und fixierte streng den Ambassai an der Maschine. Der dunkelhäutige Kochgehilfe zeigte sich davon gänzlich unbeeindruckt.
    Hau Mikh versuchte abzuschätzen, ob es ein Versehen oder Absicht gewesen war. Doch die Mimik der Einheimischen war ihm auch nach Jahren noch rätselhaft. Zumeist verzogen sie keine Miene, nur die Augen wanderten beständig hin und her; wie ein Raubtier, das seine Beute taxiert.
    »Was ist? Du verdienst dein Leben nicht durch Herumgaffen!«, fuhr er den Mann in Schürze und Gummistiefeln an, um gleich darauf zusammenzuzucken.
    Ein hoher, durchdringender Ton stach ihm in die Ohren; der unverkennbare Todesschrei einer Albusangi-Gazelle, gefolgt von einem mehrstimmigen Echo aus den abseits gelegenen Ställen.
    Hau Mikh kniff die Augen zusammen und lächelte. Schreit nur. Es wird euch nichts nützen. Ihr seid auserwählt, den Gaumen der Herrin zu erfreuen. Ein perfektes Mahl. Saftig, zart und makellos weiß. So wie sie es wünscht. Und wenn das heutige Mittagessen zu ihrer Zufriedenheit verläuft, wird sie mich vielleicht zu sich rufen, auf dass ich sie beglücke…
    Ein Schauer rann ihm über den Rücken, stellte ihm die Nackenhaare auf und zeichnete Vorfreude in die Schrittfalte seiner knielangen Culotte.
    Von einer Welle guter Laune erfasst ließ er den Gehilfen stehen und wanderte weiter die Reihen der Anrichten und mit heißem Dampf betriebenen Kochstellen entlang. Wo er hinsah, waren die Arbeitsflächen fingerdick mit Mehl bedeckt. Fleisch wurde entbeint, filetiert, geklopft, zerkleinert, geknetet, gerollt oder zu gefüllten Leckereien gebunden. Rohes Fleisch, das im letzten Bearbeitungsgang bestrichen, glasiert, ummantelt oder bestäubt wurde, bis nichts mehr an das ehemals blutige Innere erinnerte. Weiß mussten die Speisen sein, zu Ehren von Pilatre de Rozier, dem unsterblichen Kaiser, dem allmächtigen Herrscher über ganz Afra, Erbauer der fliegenden Städte.
    De Rozier. Hau Mikh zog verächtlich den Mundwinkel nach unten. Der Kaiser kümmerte sich viel zu wenig und niemals höchstselbst um diese Wolkenstadt alter Bauweise. Sonst hätte er längst bemerkt, dass meine Herrin von ihm und seiner weißen Haut besessen ist und das Volk darunter leiden muss.
    Zum Schluss seiner Runde kontrollierte Hau Mikh den Hakensaal – die einzige Station der Verarbeitungskette, die bestimmte Tiere selbstständig betraten, um gleich darauf dem Tod ins Auge zu blicken.
    Hier war der Lärm am schlimmsten. Das Stampfen der Dampfmaschine, das Heulen der Säge, der dumpfe Widerhall der Bolzen zusammen mit den

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