Das Rätsel der Hibiskus-Brosche
Das schläfrige Telefonfräulein stellte durch, und schon hörte sie die
Stimme des Inspektors.
Wright hatte das Telefon beim
ersten Läuten gehört. Er war es gewohnt, selbst im tiefsten Schlaf darauf zu
reagieren. Er war sofort hellwach, als Mrs. Sutherland sagte: »Es tut mir so leid, Inspektor, Sie stören zu müssen, aber
ich glaube, es ist wichtig für Sie. Bei uns ist eingebrochen worden.«
»Bei Ihnen?«
»Ja. Bei mir. Ich hatte das
Geld von der Tanzveranstaltung in Verwahrung genommen. Es lag auf meinem Tisch
in meinem Zimmer. Meine Tochter wachte auf und sah einen Mann. Aber wir konnten
nicht erkennen, wer es war. Bis wir Licht gemacht hatten, war er wieder weg und
das Geld ebenfalls. Vielleicht hat es etwas zu tun mit... mit...«
»Da haben Sie vollkommen recht.
Es könnte uns helfen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Mrs. Sutherland, komme ich sofort zu Ihnen... O nein, es ist schon alles in Ordnung!
Die Polizei ist es gewöhnt, nachts angerufen zu werden. Ich fürchte nur, es ist
Ihnen lästig; aber ich kann mir vorstellen, daß Sie jetzt auch nicht schlafen
können.«
»O nein! Ich koche Tee und
stelle eine Tasse für Sie bereit, wenn Sie kommen.«
Was für eine erfreulich
vernünftige Person! dachte Wright. Ihre Stimme klang beunruhigt, aber durchaus
nicht aufgeregt, obwohl der andere Einbruch, an den sie offensichtlich dachte,
mit einem Mord geendet hatte.
Der Inspektor seufzte. Es sah
wirklich so aus, als ob Einbrecher in der Gegend am Werk wären, Männer, die
Bescheid wußten, daß in dieser Nacht Geld im Sutherland-Haus zu finden war. Er
verließ sein Hotel und marschierte die Straße hinauf auf das Sutherland-Haus
zu.
Der Tee war bereits fertig, und
Alice Sutherland war vollständig angekleidet. Als er eine Bemerkung darüber
machte, meinte sie, daß es ja schon vier Uhr morgens sei und sie bestimmt nicht
mehr schlafen könne. »Inspektor, ich mache mir Sorgen. Mein Sohn Alec ist nicht
in seinem Zimmer. Sein Bett ist unberührt. Ich — ich muß mich wirklich
wundern...«
Sie war in großer Sorge um
Alec. Wo steckte er bloß? War ihm vielleicht etwas passiert? Hatte er
vielleicht entsetzlich verloren bei den Rennen am Sonnabend? War er verzweifelt
knapp an Geld und schämte er sich, sie erneut um Geld zu bitten? Aber das mußte
ja nicht unbedingt etwas mit dem verschwundenen Geld zu tun haben!
Ob Wright vielleicht argwöhnte,
das könnte doch etwas miteinander zu tun haben? Sie mußte die Frage auf sich
beruhen lassen, denn in dem Moment öffnete sich leise die Hintertür, und Alec
stand im Raum. Er blickte bestürzt vom Inspektor zu seiner Mutter. Er wirkte
dermaßen betroffen, daß Wright unwillkürlich dachte: Wenn er nicht in
Wirklichkeit ein viel besserer Schauspieler ist, als es jetzt scheint, dann hat
er mit all dem hier nichts zu tun.
Ehe er den Inspektor erblickt
hatte, hatte Alec ausgesprochen froh ausgesehen. Als wenn er irgendwelche gute
Nachrichten zu bringen hätte, überlegte seine Mutter, als wenn die Kümmernisse
der letzten Wochen überstanden wären! Aber im selben Augenblick wechselte sein
Gesichtsausdruck, und er fragte rasch: »Was ist los? Mutter, ist alles in
Ordnung bei euch? Wo ist Beth? Ist irgend etwas passiert?«
»O Alec, ich bin so froh, daß
du da bist! Ich habe gerade dem Inspektor gesagt, daß ich mich um dich sorge.«
Er lachte und legte seinen Arm
um sie, wie er es lange nicht mehr getan hatte. »Du brauchst dich nicht um mich
zu sorgen, Mutter. Alles ist in bester Ordnung! Es ist bloß ein bißchen spät
geworden; aber wir hatten eine Party und haben nicht auf die Uhr geschaut. Der
Inspektor ist doch nicht meinetwegen hergekommen, wie?« Alec lachte
ausgesprochen sorglos.
Wright lächelte und schüttelte
den Kopf. »Ich denke schon, daß Ihre Abwesenheit nichts zu bedeuten hat. Nein,
Ihre Mutter hat mich wegen eines neuen Einbruchs kommen lassen. Ein Mann ist heute abend hier eingebrochen und hat das Geld von der
Tanzveranstaltung gestohlen.«
»Du lieber Himmel, was denn
noch? Habt ihr den Kerl erwischt?«
»Wir haben nicht die geringste
Spur von ihm«, erwiderte seine Mutter. »Beth wachte auf und sah ihn, und dann
stürzten wir alle übereinander in der Dunkelheit, aber er entwischte.«
»Zu schade! Aber keine Angst,
Mutter! Ich habe — ich habe ein bißchen Glück gehabt und kann zu dem Verlust
etwas beisteuern. Wenn wir den verdammten Burschen bloß kriegten! Das ist doch
zu scheußlich.«
»Es ist mehr als das«, warf
Wright langsam ein.
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