GK384 - Die Legion des Bösen
Der Mann sah das Ruder eintauchen, vernahm aber nicht das leiseste Plätschern. Wie ein Schemen schob sich die Gondel aus seinem Blickfeld.
Er stürmte die Brückenstufen hinunter und tauchte in das düstere Gassengewirr von Venedig ein. Immer wieder schaute er zurück.
Niemand schien ihm zu folgen. Die schmalen Gassen waren menschenleer. Das nächtliche Venedig wirkte in dieser Gegend trostlos und unheimlich.
Der Mann verlangsamte seinen Schritt. Da er nicht verfolgt wurde, faßte er neuen Mut. Vielleicht hatte er gar nicht die Todesgondel gesehen, sondern irgendeine andere - ganz gewöhnliche Gondel.
Vielleicht hatte er sich lediglich eingebildet, verfolgt zu werden.
Er blieb stehen.
Allmählich drehten sie alle durch. Er und seine Freunde. Sie wagten sich kaum noch aus ihren Verstecken, weil sie Angst hatten, ermordet zu werden. Ein grausamer Tod wartete auf sie, das wußten sie.
Deshalb waren sie auch so hysterisch, wenn sie glaubten, die unheimlichen Mörder erblickt zu haben.
Der Mann setzte seinen Weg fort.
Er erholte sich wieder, seine Erregung ebbte ab. Ob er mit Ludo Arra über dieses Erlebnis sprechen sollte? Ludo war sein bester Freund. Er würde ihn bestimmt nicht auslachen, denn Ludos Situation war genauso prekär.
Der Korpulente erreichte eine kleine Piazza.
Er hörte Musik, Gelächter, heitere Stimmen. Der Lärm kam aus einer Trattoria, der besten von Venedig. Ein Geheimtip für Insider. Die Touristen hatten keine Ahnung, daß man nirgendwo besser aufgehoben war als hier.
Hier stimmte die Bedienung, der Wein, der Preis - einfach alles.
Der Mann überlegte, ob er sich unter das Volk mischen sollte.
Um zu vergessen, sagte er sich.
Wenn er unter Menschen kam, würde er nicht mehr an den Schreck denken, der ihm vorhin in die Glieder gefahren war.
Die, von denen er sich verfolgt gefühlt hatte, waren keine Menschen. Das waren Bestien in Menschengestalt. Grausame Dämonen waren es, deren eiskaltes Gehirn ausschließlich destruktive Gedanken produzierte.
Der Korpulente ging auf den Lärm zu.
Vor der Trattoria hingen bunte Glühbirnen. Auf einer schwarzen Tafel waren mit weißer Kreide die Spezialitäten des Hauses aufgeschrieben.
Der Mann hatte es nicht mehr weit bis zur Trattoria.
Etwa zwanzig Schritte war er nur noch vom Eingang entfernt. Er sollte die offene Tür trotzdem nicht mehr erreichen.
Auf seinem Weg zur Trattoria mußte er an einem finsteren Durchlaß vorbei. Der Abstand zwischen den beiden Gebäuden war so schmal, daß keine zwei Männer nebeneinander stehen konnten.
Man konnte die Gasse leicht übersehen.
Der Korpulente übersah ihn auch.
Das sollte ihm zum Verhängnis werden!
Urplötzlich waren sie da. Buchstäblich aus dem Nichts kamen sie. Wie Kastenteufel zuckten sie aus der schwarzen Dunkelheit hervor.
Der Mann wollte zurückweichen, doch im Nu hatten sie ihn eingekreist. Gemein war ihr Grinsen, haßerfüllt ihr Blick.
Der Korpulente schüttelte entsetzt den Kopf. »Nein!« krächzte er. »Nein! Laßt mich in Ruhe!«
Er hob abwehrend die Arme. Seine Augen waren furchtgeweitet. Er drehte sich im Kreis. Die Besatzung der Todesgondel rückte näher zusammen.
Der Ring schloß sich um das Opfer, das rettungslos verloren war…
***
Tucker Peckinpah war ein ganz und gar außergewöhnlicher Mann. Was er anpackte, verwandelte sich gewissermaßen in Gold, ohne daß dabei Hexerei im Spiel gewesen wäre.
Peckinpah hatte einfach ein Händchen fürs Geschäft und eine hervorragende Nase für gewinnbringende Unternehmungen .
Der sechzigjährige rundliche Industrielle war demgemäß immens reich. Er konnte sich so ziemlich alles leisten, und so war es eigentlich nicht weiter verwunderlich, daß er sogar einen Privatdetektiv auf Dauer verpflichtet hatte.
Der Detektiv hieß Tony Ballard. Er haßte die Dämonen ebenso wie Peckinpah. Deshalb galt Ballards Engagement auch nicht den kleinen Verbrechern, sondern er bekämpfte in Peckinpahs Auftrag und mit dessen finanzieller Unterstützung die Wesen aus den Dimensionen des Grauens, die immer wieder neue Vorstöße in die Welt der Menschen unternahmen.
Wenn es nicht Männer wie Tony Ballard gegeben hätte, hätte es bereits schlecht um diese Welt ausgesehen, denn die Dämonen waren unersättlich in ihrem Machtstreben, und ihr höchstes Ziel war es, den gesamten Globus zu beherrschen.
Tucker Peckinpah hatte mit dem japanischen Reeder Yuki Shimo ein Geschäft getätigt, das beide Teile sehr zufriedengestellt hatte, und
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