Das Raetsel der Liebe
wurden.
Ihm war klar, dass sie versuchte, ihm wehzutun, ihn von sich wegzutreiben. Trotzdem trafen ihn ihre Worte wie Keulenschläge. »Dieses Leben ist vorbei, Lydia.«
Sie wischte sich die Tränen ab. »N-Nicht für mich.«
»Tatsächlich? Jane weiß jetzt, dass du ihre Mutter bist. Hat das nicht alles verändert für dich?«
Getroffen zuckte sie zusammen. Alexander, froh über diesen Beweis ihrer Verunsicherung, deutete mit dem Finger auf sie, bevor er sich zur Tür wandte, um zu gehen.
»Das einzige Leben, das du jetzt hast, Lydia – das einzige Leben, das wir
beide
haben können –, ist das Leben, das wir uns selbst gestalten.«
32
Der große Saal des Gebäudes der Royal Society of Arts im Adelphi-Viertel glich einem Bienenstock. Menschengewusel und Stimmengewirr erfüllten den Raum. Alle Mitglieder des Stiftungsrates sowie sämtliche Gewerkschaftsvertreter waren anwesend – ob aus Neugier oder Pflichtgefühl, konnte Alexander nicht sagen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Ganges hatten drei Polizeikommissare Platz genommen.
Alexander saß neben Sebastian und Rushton in der ersten Reihe. Von einem erhöhten Podium in der Mitte des Raumes aus führten die Kuratoren den Versammlungsvorsitz. Die Gesichter ernst, die Stirn gerunzelt, sprachen sie leise miteinander, blätterten in ihren Unterlagen oder blickten zu Alexander.
»Du hättest dich wenigstens rasieren können«, bemerkte Sebastian mit gedämpfter Stimme inmitten des Lärms und fuhr sich mit der Hand übers eigene Kinn. »Wie ich.«
»Bastian hat recht.« Rushton sah seine beiden Söhne aus den Augenwinkeln an. »Du siehst aus wie ein Landstreicher, North.«
Obgleich es ihn nicht kümmerte, fuhr sich Alexander mit der Hand übers Haar, um es zumindest etwas zu glätten. Er hatte während der zurückliegenden fünf Nächte kaum geschlafen, weil er immer noch damit beschäftigt war, einen Weg zu finden, wie er Lydia überzeugen könnte, ihm eine Chance zu geben. Aber wie er es auch drehte und wendete, es war ihm bisher keine Lösung eingefallen, der sie zustimmen würde. Sie würde nicht nachgeben, selbst, wenn sie es wollte.
Er stieß einen leisen Fluch aus und versuchte, seine Aufmerksamkeit auf die Mitglieder des Kuratoriums zu lenken, als er sah, dass Hadley sich von seinem Platz hinter dem langen Tisch erhob.
»Ruhe, bitte. Ich bitte die Anwesenden um Ruhe!«
Hadley schwenkte die Arme, um die Menge aufzufordern, sich zu setzen. Nachdem alle Platz genommen hatten und es still geworden war, räusperte er sich vernehmlich.
»Wie Sie alle wissen, wurde das heutige Treffen einberufen, um die Probleme zu beleuchten, die im Zusammenhang mit der von Lord Northwood initiierten und geleiteten Bildungsausstellung aufgetreten sind. Bereits seit geraumer Zeit stellen wir fest, dass seine engen Verbindungen zum Russischen Reich wie auch das von ihm geführte Handelsunternehmen möglicherweise den erklärten Zielen der Ausstellung entgegenstehen, nämlich für die Überlegenheit des britischen Bildungssystems und der britischen Industrie zu werben und die freien Handelsbeziehungen mit Frankreich zu fördern.«
Aus dem Publikum ertönte zustimmendes Gemurmel. Alexander musste daran denken, wie er Lydia zum ersten Mal von der Ausstellung erzählt hatte. Sie hatte in seinem Salon gesessen und ihm ihre Mithilfe bei den mathematischen Themenbereichen angeboten. Wenn er damals schon gewusst hätte, wie schmerzvoll er sich einmal nach ihr sehnen würde …
Ich besitze ein Talent für Mathematik.
Sie wusste nicht, dass sie außerdem das Talent besaß, sein Herz zu stehlen.
»Bis zum heutigen Tage waren wir gewillt, über die Verbindungen Lord Northwoods nach Russland hinwegzusehen, da er unserer Königlichen Gesellschaft große Dienste erwiesen hat«, fuhr Hadley fort. »Angesichts der jüngsten Kriegserklärung sehen wir uns jedoch nunmehr gezwungen, den Wert des von ihm geleisteten Beitrags etwas sorgfältiger gegen den Schaden abzuwägen, den seine … ähm … persönlichen Umstände verursachen.
In der vorletzten Woche nun war Lord Northwood in eine Auseinandersetzung mit einem Gentleman verwickelt, der angeblich versucht haben soll, ein kleines Mädchen zu entführen, die Schwester seiner Verlobten. Die Polizei ist zu dem Schluss gelangt – dem wir alle gewiss zustimmen können –, dass Northwood so handelte, um sowohl seine Verlobte als auch das Mädchen zu schützen.«
Das Mädchen
. Bei dem Gedanken, was Jane hätte passieren können,
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