Macabros 033: Flucht in den Geistersumpf
Die attraktive junge Frau näherte sich dem weißen
Mercedes, der am Rand des Bürgersteigs parkte.
Carminia Brado warf noch mal einen Blick durch das weit offen
stehende Gittertor des Hospitals und winkte zurück. Auf einem
Balkon im dritten Stock stand eine gut aussehende Endzwanzigerin, die
ihr Winken erwiderte. Das war Romy Sorano. – Die Freundin sollte
morgen entlassen werden. Durch einen Überfall war sie böse
zugerichtet worden. Daß Carminia die eigentliche Schuld am
Krankenhausaufenthalt der Freundin trug, sollte und durfte sie nicht
ahnen.
Durch einen übermächtigen Zauber war sie kurze Zeit in
Vollmondnächten zu einer Spinne geworden und planlos durch die
Nacht geirrt, auf der Suche nach Opfern. Durch einen Gegenzauber, den
der Trank der Siaris ausgelöst hatte, gewann Carminia ihre
menschliche Gestalt und vor allem ihr wahres Ich
zurück…
Die schlanke Brasilianerin zog die Blicke der Männer auf
sich, als sie mit wippendem Rock in den Wagen stieg, das Verdeck
zurückgleiten ließ und das Fahrzeug startete.
Es war ein Tag zum Gutsein.
Doch das Böse richtete sich nicht nach Stimmung und
Wetterlage. Es war immer vorhanden. In der sichtbaren und der
unsichtbaren Welt vollendeten sich ständig Schicksale und
bahnten sich neue an.
Das Verdeck des Sportwagens war etwa ein Drittel
zurückgeglitten, als eine leise Stimme hinter Carminia zischte:
»Lassen Sie es geschlossen!«
Die Südamerikanerin fuhr zusammen, warf ruckartig den Kopf
hoch und starrte in den Innenspiegel.
Sie sah ein schmales, männliches Gesicht mit breiten
Augenbrauen und einem gepflegten Lippenbart.
Der Mann, der sich auf der engen Rückbank verborgen gehalten
hatte, hielt eine entsicherte Pistole in der Rechten. Er drückte
die Mündung in Carminias Nacken, und die Brasilianerin
spürte die Kälte des Metalls auf ihrer Haut.
»Mit Verdeck fährt sich’s besser, lassen Sie’s
also geschlossen! Ich möchte nicht, daß man von
draußen hereinsehen kann.«
Carminia gehorchte. Ihr Herz schlug wie rasend, und das Grauen
packte sie.
Dies war eine Entführung! Aber keine gewöhnliche. In
ihrem Zusammenleben mit Björn Hellmark hatte sie gelernt, auf
Unterschiede zu achten.
Nicht jeder, der wie ein Mensch aussah, war auch einer. Instinktiv
wußte sie: das ist ein Schwarzer Priester, einer aus der Kaste
derjenigen, die Hellmark Todfeindschaft geschworen haben!
*
Carminia Brado riß sich zusammen: »Was wollen Sie von
mir?« fragte sie mit belegter Stimme.
»Eine kleine Spazierfahrt mit Ihnen machen«, klang die
spöttische Stimme hinter ihr.
»Wer sind Sie?«
»Warum Namen nennen? Namen sind Schall und Rauch. Sie tun
hier nichts zur Sache. – Fahren Sie los! Ich gebe Ihnen die
Straßen, die Sie benutzen werden, ganz genau an. Sie
können gar nicht falsch fahren.«
Carminia gab Gas. Der Wagen rollte langsam an. Sie fädelte
sich in den fließenden Verkehr ein.
Das Blut hämmerte in ihren Schläfen.
Was hatte man mit ihr vor?
Sie nagte an ihrer Unterlippe, und es fiel ihr schwer, sich auf
den Verkehr zu konzentrieren.
Zahllose Fragen gingen ihr durch den Kopf. Es wurde ihr im
nachhinein bewußt, daß sie die eine oder andere stellte,
aber nur ausweichende Antworten darauf erhielt.
Björn, dachte sie. Wenn er doch hier sein könnte!
Verzweiflung plagte ihr Herz, und der Brasilianerin wurde
bewußt, wie hilflos sie war. Sie befand sich in einer
Großstadt. Hunderte von Autofahrern waren unterwegs, Tausende
von Passanten. An einer Straßenkreuzung mußte sie halten,
weil die Ampel rot zeigte.
Zahllose Menschen liefen an ihr vorüber. Aus verschleierten
Augen nahm sie die Fremden wahr. Manche warfen einem Blick in ihr
Fahrzeug. Unbewußt, unbeabsichtigt.
Carminias Gedanken schrien: ›Merkt ihr denn nichts?
Fällt euch nichts auf? Ich benötige Hilfe!‹
Aber wie sollte jemand etwas merken?
Alles schien normal.
Wie ein Liebhaber hockte der fremde junge Mann ohne Namen
schräg hinter ihr. Die Pistole sah von draußen
niemand.
Er lächelte maliziös. »Wir beide geben doch ein
prachtvolles Paar ab, finden Sie nicht auch?«
Die Frau am Steuer schluckte. Ihre Kehle war wie zugeschnürt,
so daß sie nicht mal fähig war zu einer Bemerkung. Sie
schwebte in tödlicher Gefahr – und konnte nichts dagegen
tun.
War sie wirklich so hilflos hier in diesem Wagen eingesperrt?
An der nächsten Straßenkreuzung kam ihr eine
verzweifelte Idee, und der Zufall half ihr weiter. Arbeiter hatten an
einer Baustelle mitten auf
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