Das Raetsel der Liebe
Ausdruck, in Kombination mit der Abfolge der gestellten Fragen, rief in Alexander eine Gemütsbewegung hervor, die sich nach einer Mischung aus Vorfreude und Besorgnis anfühlte.
»Sir Henry war, soweit ich mich erinnern kann, ein rechtschaffener Mann«, fuhr Rushton fort.
»Das war er.«
»Verfügte zwar nicht über Grundbesitz, war jedoch als Gelehrter höchst anerkannt. Eine Familie ohne Skandale, außer die Sache mit der Mutter …« Rushton verstummte und schüttelte den Kopf. »Wie Brackwell mir erzählte, muss sie ziemlich irre gewesen sein.«
Zumindest ist sie nicht mit einem anderen Kerl durchgebrannt.
»Mrs Kellaways Krankheit war ein schlimmes Unglück«, entgegnete Alexander. »Für ihre beiden Töchter war es sehr schwer.«
Vor seinem inneren Auge tauchte ein Bild von Lydia und Jane auf – das beinahe identische Lächeln, derselbe Ausdruck wacher Intelligenz in den Augen, die spürbare Zuneigung füreinander. Janes unstillbare Neugier und die Art, wie sie alles, was um sie herum vorging, förmlich aufzusaugen schien, während Lydia der Welt mit großer Vorsicht begegnete und sich vor ihr zu schützen suchte.
Rushton langte nach der Karaffe und füllte ihre Gläser wieder auf. »Wie ist sie denn so?«
»Wie bitte?«
»Miss Kellaway. Nicht wie deine Mutter, sagtest du. Nicht wie Chiltons Tochter. Wie – oder wer – ist sie also?«
»Sie ist wie … anders, als jede Frau, die ich bisher getroffen habe.«
Alexander wusste ja noch nicht einmal, wie er sich selbst Lydia erklären sollte, wie konnte er da seinem Vater eine Antwort geben? Sie war ihm während der letzten Wochen tief unter die Haut gegangen. Er konnte nicht aufhören, an den leicht gequälten Ausdruck in ihren blauen Augen zu denken, die brodelnde Leidenschaft in ihren Küssen, die Art, wie sie auf ihn reagiert hatte. Sein Bedürfnis, sie zu berühren, wuchs sich allmählich zu einem schmerzhaften Verlangen aus.
Und die Gefühle, die sie in ihm hervorgerrufen hatte – eine schier wahnsinnig machende Mischung aus Lust, Zärtlichkeit, Leidenschaft, Faszination und dem beinahe überwältigenden Bedürfnis, sie zu beschützen …
Er spreizte die Finger und riss sich zusammen, um nicht aufzuspringen und im Zimmer auf und ab zu laufen.
»Findest du sie interessant genug, um eine Ehe mit ihr auszuhalten?«, fragte Rushton.
Mehr als das. Alexander fand sie interessant genug,
ihn
auszuhalten. Er hatte nicht damit gerechnet, eine Frau zu finden, die er nicht nur heiratete, um die an ihn gestellten Erwartungen zu erfüllen. Sondern aus Gründen, die einzig und allein ihn etwas angingen.
Inzwischen war er sich bis in die letzte Zelle seines Körpers sicher, dass er Lydia zu seiner Frau machen wollte, doch er war noch nicht bereit, seinen Vater in diese Pläne einzuweihen.
»Wie kommst du darauf, dass ich ans Heiraten denke?«
Rushton lachte, für Alexanders Ohren ein höchst fremdartiger Laut, den er Zeit seines Lebens nur selten gehört hatte.
»Ich werde zwar langsam alt, Northwood«, erwiderte Rushton, »aber ein Narr bin ich noch lange nicht.«
Als sie zusammen mit Talia, Sebastian und Lord Castleford auf Floreston Manor eintraf, war Lydia sofort gefangen genommen von der Schönheit des Anwesens und der umgebenden Landschaft. Das helle, mit großen Blumenvasen geschmückte Haus und die frische Luft schienen den Schmutz und den Lärm der großen Stadt einfach wegzuspülen. Hier könnten vielleicht sogar die dunklen Schatten weichen, die auf ihrem Herzen lagen.
Als sie auf der Terrasse stand und den Blick über die ausgedehnten Ländereien schweifen ließ, beschloss sie, die kommenden drei Tage einfach nur zu genießen und sich wohlzufühlen. Sie würde am Fluss entlangspazieren, Blumen pflücken, die süß duftende Luft einatmen und die Sonne auf ihr Gesicht scheinen lassen.
»Lydia!«, rief Lady Talia. »Haben Sie schon Ihr Zimmer gesehen? Kommen Sie, ich zeige es Ihnen. Sam hat Ihre Sachen bereits nach oben gebracht. Es ist wirklich das schönste Zimmer im ganzen Haus.«
Das Herz schon etwas leichter, folgte Lydia der jüngeren Frau nach drinnen. Wieder auf Floreston Manor zu sein, hatte auch Talia vollkommen verwandelt. Strahlend eilte sie hierhin und dorthin, erteilte Anweisungen, sorgte dafür, dass ihre Gäste gut untergebracht wurden und alles bekamen, was sie brauchten, und besprach mit der Hausdame die Speisenfolge für das Wochenende.
Die Männer waren klug genug, sich aus dem Staub zu machen – Rushton verschwand im
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