Das Rätsel
–, kam ein Mann in einem nicht eben teuren blauen oder braunen Anzug, mit einer Lederaktentasche und einem Verbrechen, das eine einmalige Expertise erforderte – jedes Mal sagt ihr alle genau das Gleiche. Ob der Anzug nun vom FBI oder dem Secret Service oder der örtlichen Polizei in einer Großstadt stammt oder meinetwegenauch aus irgendeinem entlegenen Revier, etwas Besonderes ist es allemal. Soll ich Ihnen was sagen, Agent Martin von der SS? Sie sind nichts Besonderes. Kein bisschen. Die Fälle sind einfach nur schrecklich, weiter nichts. Sie sind hässlich und abscheulich – sie haben immer mit dem Tod in seiner ekelhaftesten, widerwärtigsten Form zu tun. Geschundene und zerstückelte Menschen, vielleicht auch in immer wieder neuen, einfallsreichen Variationen ausgeweidet und zu Hackfleisch verarbeitet. Aber soll ich Ihnen sagen, was sie nicht sind? Etwas Besonderes. Nein, das sind sie nicht. Sie gleichen sich alle. Immer wieder dieselbe Geschichte, ein bisschen anders verpackt. Besonders? Nein. Kein bisschen. Eher gewöhnlich. Serienmord ist in unserer Gesellschaft so alltäglich wie eine schlichte Erkältung. So vertraut wie der tägliche Sonnenauf- und -untergang. Es ist eine Ablenkung. Ein Zeitvertreib. Eine Unterhaltung. Verdammt, wir sollten knappe Spielberichte im Sportteil der Tageszeitung einführen, direkt neben den Ranglisten. Kurz und gut, dieses Mal werde ich, egal wie ratlos und verwirrt Sie sein mögen, egal, wie sehr Sie die Sache frustriert, einfach passen.«
Der Agent stellte beide Beine auf den Boden. »Nein«, entgegnete er ruhig. »Nein, ich glaube nicht.«
Clayton beobachtete, wie Agent Martin sich langsam erhob. Zum ersten Mal sah er in die Augen des Mannes, die sich verengten und ihn mit einer schneidenden Härte, einer schmerzenden Intensität fixierten – wie ein Scharfschütze seine Zielperson in den Blick nimmt, in der Millionstel Sekunde, bevor er abdrückt. Martins Stimme hatte einen harten, klirrenden Ton angenommen, und er betonte jede Silbe einzeln:
»Behalten Sie die Aktentasche. Überprüfen Sie den Inhalt. Sie finden die Nummer eines hiesigen Hotels, unter der Sie mich erreichen können. Ich erwarte Ihren Anruf heute Abend.«
»Und wenn ich beim Nein bleibe? Wenn ich nicht anrufe?« Der Agent starrte ihn weiter an. Er holte tief Luft, bevor er sagte: »Jeffrey Clayton. Professor für Psychologie des Abnormen, Universität Massachusetts. Berufung kurz nach der Jahrtausendwende. Lehrstuhl drei Jahre später durch Mehrheitsbeschluss. Keine Frau. Keine Kinder. Hin und wieder eine Freundin, die sich wünscht, Sie würden sich endlich entscheiden und eine Familie gründen, aber Sie denken gar nicht daran, was? Nicht, weil Sie schwul wären, sondern aus einem anderen Grund, stimmt’s? Vielleicht kommen wir bei Gelegenheit darauf zu sprechen. Was noch? Ach so, ja. Sie lieben Fahrradtouren in den Bergen und spielen manchmal in der Sporthalle bei einem Basketballmatch mit, außerdem joggen Sie jeden Tag Ihre sieben, acht Meilen. Bescheidene Ausbeute an akademischen Schriften. Sie sind Autor einer Reihe bemerkenswerter Studien zu gemeingefährlichem Verhalten, die relativ unbekannt geblieben sind, dafür aber haben Sie quer durchs Land bei Strafverfolgungsbehörden von sich reden gemacht, weil die nämlich Ihre profunden Kenntnisse bedeutend besser zu würdigen wissen als Ihre Kollegen an der Hochschule. Gelegentliche Vorträge in der Abteilung für Verhaltensforschung beim FBI in Quantico, bevor die dichtgemacht haben. Die verfluchten Kürzungen. Gastdozent im John Jay College für Strafrechtspflege in New York …«
Der Agent legte eine Atempause ein.
»Sie kennen demnach meinen Lebenslauf«, unterbrach ihn Clayton.
»In- und auswendig«, erwiderte der Agent schroff.
»Den hätten Sie auch von der PR-Abteilung der Universität bekommen können.«
Agent Martin nickte. »Eine Schwester, die in Islamorada, Florida, lebt, hat nie geheiratet, oder? Genau wie Sie. Ist das nichteine verblüffende Übereinstimmung? Sie kümmert sich um Ihre Mutter. Pflegebedürftige Frau. Und sie arbeitet da unten bei einer Zeitschrift. Schreibt Rätsel. Einmal die Woche. Interessanter Job, muss ich sagen. Hat sie dasselbe Alkoholproblem wie Sie, oder ist es bei ihr eine andere Abhängigkeit?«
Clayton saß kerzengerade. »Ich habe kein Alkoholproblem, genauso wenig wie meine Schwester.«
»Nicht? Gut. Freut mich zu hören. Frage mich nur, wie dieses kleine Detail bei meinen Recherchen
Weitere Kostenlose Bücher