Briefe aus dem Gefaengnis
Warum ich dieses Buch geschrieben habe
In diesem Buch sind einige meiner Essays und Briefe aus dem Gefängnis versammelt. Ein Teil entstand in Moskau, ein anderer in Tschita, einem Ort an der Grenze zu China, wo ich ein paar Jahre meiner Haft absaß, ein dritter wiederum in Moskau, während des zweiten Strafprozesses.
Auf die Veröffentlichung meiner Texte reagierten die Machthaber manchmal gelassen, manchmal aber auch nervös, weshalb ich dann in Isolationshaft gesteckt wurde.
Ich werde immer wieder gefragt, warum ich schreibe, warum ich die Regierung weiter provoziere, ob ich denn nicht freikommen wolle.
Ich kann dazu nur sagen: Natürlich will ich die Freiheit. Ich habe vier Kinder, eine Enkelin 1 , die ich nie gesehen habe, eine Frau, Eltern, die nicht mehr jung sind. Gleichzeitig kann ich mich nicht damit abfinden, dass die Regierung an mir ein Exempel statuiert, um ihren Gegnern zu zeigen, dass sie einen Menschen brechen oder vernichten kann. Ein modernes europäisches Land, das als demokratischer Rechtsstaat gelten will, kann sich das nicht leisten.
Solange ich im Gefängnis bin, solange ich irgend kann, werde ich kämpfen und schreiben.
Ich bin ein ganz normaler Mensch, nur ist mein Schicksal vielleicht etwas ungewöhnlich. Ich komme aus einer ganz normalen sowjetischen Ingenieursfamilie, habe eine ganz normale sowjetische Schule besucht, habe studiert, war im kommunistischen Jugendverband und bin nur durch Zufall mitten in die revolutionären Umwälzungen der neunziger Jahre geraten und zu einem Mitgestalter des neuen russischen Staates geworden.
Als Berater der ersten russischen Regierung stand ich Boris Jelzin nahe, zusammen mit seinen Leuten habe ich 1991 das Weiße Haus verteidigt, mich 1993 für die neue Regierung stark gemacht und 1996, während der schwierigen Wahlen, gehörte ich wieder zu Jelzins Mannschaft. Wir versuchten, einen neuen demokratischen Staat aufzubauen, die Gesellschaft zu erneuern, und wir haben uns im Laufe dieses Kampfes auch selbst verändert.
Ich habe erst allmählich gelernt, was Demokratie wirklich heißt, was eine moderne Wirtschaft ausmacht, wie man als Bürger seine Verantwortung wahrnehmen und sich auch für soziale Belange einsetzen muss. Mit großer Dankbarkeit denke ich in diesem Zusammenhang an die Mitglieder des Konzernvorstandes von Jukos – Sarah Carey, Bernard Lozé, Jacques Kosciusko, Michel Soublin, an meine Kollegen Bruce Misamore, Joe Mach, Frank Rieger und zahlreiche andere. Sie haben mir weit mehr vermittelt als ein Verständnis für globale Wirtschaft, internationales Finanzwesen und gutes korporatives Management. Ich habe mich meinerseits bemüht, diese neuen Erkenntnisse und Erfahrungen weiterzugeben.
Die Projekte »Offenes Russland«,»Neue Zivilisation«, »Föderation Internet-Bildung« (»FIO«), meine Beteiligung an den »Schulen öffentlicher Politik« 2 und die öffentliche Unterstützung bestimmter politischer Parteien sind mein Beitrag zu den Veränderungen, die mein Land braucht.
Besonders wichtig für ein grundsätzliches Umdenken war meine Bekanntschaft mit dem berühmten amerikanischen Kongressabgeordneten Tom Lantos, einem Holocaust-Überlebenden. Tom machte mir anschaulich klar, worin die Vorzüge des modernen Parlamentarismus liegen und wie er funktioniert.
Der eingeschlagene Weg in Richtung europäische Demokratie, verbal durchaus unterstützt von der derzeitigen Regierung, hat bei bestimmten einflussreichen Kreisen unseres Landes große Unzufriedenheit ausgelöst. Diese Unzufriedenheit entlud sich am 19. Februar 2003 während einer öffentlichen Konferenz bei Präsident Putin, bei der es vor allem um das Thema Korruption ging. Im Auftrag des Russischen Unternehmer- und Industriellenverbands (RSPP) hielt ich eine sehr polemische, ehrliche Rede und stieß damit auf Unverständnis. Schon im März begann die Strafverfolgung, ich wurde zu Vernehmungen vorgeladen und im Juni zum ersten Mal festgenommen. Man drängte mich förmlich dazu, das Land zu verlassen, doch ich lehnte eine Ausreise öffentlich ab.
Meine Verhaftung und die darauf folgenden Strapazen haben viel verändert, sowohl in mir selbst als auch an dem Bild, das sich der gebildete Teil der russischen Gesellschaft von mir gemacht hatte.
Vorher, noch in Freiheit, musste ich mich nur selten publizistisch äußern, und ich betrachte dies auch nicht als mein Metier. Aber durch meine Inhaftierung und die öffentlichen Strafprozesse haben die Machthaber mich und meine
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